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Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chinua Achebe
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erneut eine Versammlung einberufen. Jeder wusste, dass Umuofia sich endlich zur Lage der Dinge äußern würde.
    Okonkwo schlief in dieser Nacht wenig. Der Bitternis in seinem Herzen floss nun eine Art kindliche Erregung bei. Ehe er sein Lager aufsuchte, legte er die Kriegsbekleidung zurecht, die er seit seiner Rückkehr aus der Verbannung nicht angerührt hatte. Er hatte seinen gerußten Bastrock ausgeschüttelt, den hohen Federputz und auch seinen Schild begutachtet. Sie waren alle noch gut in Schuss, fand er.
    Auf seinem Bambuslager ausgestreckt, dachte er an die Behandlung, die er im Hof des weißen Mannes erfahren hatte, und er schwor Rache. Wenn Umuofia sich entschloss, in den Krieg zu ziehen, war alles gut. Wenn man sich aber für die Feigheit entschied, würde er allein losziehen und sich rächen. Er dachte an die Kriege der Vergangenheit. Der edelste, fand er, war jener gegen Isike gewesen. Damals hatte Okudo [149]   noch gelebt. Okudo sang Kriegslieder in einer Weise wie keiner sonst. Er selbst war kein Krieger gewesen, aber seine Stimme machte jeden zum Löwen.
    ›Würdige Männer sind Vergangenheit!‹, seufzte Okonkwo, als er zurückdachte. ›Nie wird Isike vergessen, wie gründlich wir sie in jenem Krieg bezwangen. Zwölf ihrer Männer haben wir getötet, sie aber nur zwei der unseren. Noch vor Ende der vierten Marktwoche unterbreiteten sie Friedensangebote. In jenen Tagen waren Männer noch Männer.‹
    Durch solche Gedanken drang von ferne der Klang des eisernen Gongs. Er lauschte aufmerksam und konnte eben noch die Stimme des Ausrufers ausmachen. Aber sie war sehr schwach. Er drehte sich um; sein Rücken schmerzte. Er mahlte mit den Zähnen. Der Ausrufer kam näher und näher und zog schließlich an Okonkwos Hof vorbei.
    ›Das größte Hemmnis in Umuofia‹, dachte Okonkwo bitter, ›ist der Feigling Egonwanne [150]   . Mit seinem Gesäusel kühlt er Feuer zu kalter Asche. Wenn er spricht, raubt er unseren Männern die Kraft. Hätten sie vor fünf Jahren nicht auf seinen weibisch weisen Rat gehört, wäre es nie so weit gekommen.‹ Er mahlte mit den Zähnen. ›Morgen wird er sie daran erinnern, dass unsere Väter nie einen ›Unrechtskrieg‹ geführt haben. Wenn sie auf ihn hören, werde ich sie verlassen und meine eigene Rache planen.‹
    Die Stimme des Ausrufers war wieder schwächer geworden, und die Entfernung nahm seinem eisernen Gong die Härte. Okonkwo wälzte sich auf seinem Lager herum und genoss beinahe die Pein, die ihm sein Rücken bereitete. ›Wenn Egonwanne morgen von ›Unrecht‹ anfängt, werde ich ihm meinen Kopf und meinen Rücken zeigen.‹ Er mahlte mit den Zähnen.

    Der Marktplatz begann sich schon bei Sonnenaufgang zu füllen. Obierika wartete in seinem obi , als Okonkwo kam und ihn rief. Er hängte sich den Ziegenlederbeutel und die Scheide mit seinem Kampfmesser um und trat zu seinem Freund hinaus. Obierikas Hütte lag dicht am Pfad, und so konnte er jeden sehen, der zum Marktplatz ging. Er hatte bereits mit vielen Grüße gewechselt, die an diesem Morgen vorbeizogen.
    Als Okonkwo und Obierika auf dem Platz eintrafen, waren bereits so viele Menschen da, dass ein hochgeworfenes Sandkorn den Weg zur Erde nicht mehr gefunden hätte. Und immer mehr strömten aus allen Vierteln der neun Dörfer herbei. Okonkwo wurde warm ums Herz, als er das Aufgebot sah. Doch besonders nach einem Mann hielt er Ausschau, dem Mann, dessen säuselnde Zunge er so fürchtete und so verachtete.
    »Siehst du ihn?«, fragte er Obierika.
    »Wen?«
    »Egonwanne«, antwortete Okonkwo, dessen Blick über den Marktplatz schweifte, von einem Ende zum anderen. Die Männer saßen größtenteils auf ihren Ziegenfellen auf der Erde. Ein paar hatten auf mitgebrachten Holzschemeln Platz genommen.
    »Nein«, sagte Obierika, dessen Augen die Menge absuchten. »Doch, da ist er, unter dem Kapokbaum. Fürchtest du, er könnte uns überreden, nicht zu kämpfen?«
    »Fürchten? Mir ist egal, was er mit euch macht. Ich verachte ihn und alle, die auf ihn hören. Ich werde allein kämpfen, wenn mir danach ist.«
    Sie mussten beinahe brüllen, um sich zu verständigen, weil jedermann redete und ein Getöse herrschte wie auf einem großen Markt. ›Ich werde warten, bis er gesprochen hat‹, sagte sich Okonkwo. ›Und dann werde ich sprechen.‹
    »Aber woher willst du wissen, dass er sich gegen den Krieg ausspricht?«, fragte Obierika kurze Zeit später.
    »Weil ich weiß, dass er ein Feigling ist«, sagte Okonkwo.

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