Alles Zirkus
zusammenlegen musste, um es bezahlen zu können. Sie ist schon eine ganze Weile nicht mehr in der Agentur gewesen und macht sich bei dieser Gelegenheit mit der Neuen bekannt, Cora Hagen, die sich auch gerade fragt, was das Besondere an der schmucklosen Kelle sein soll, die Zabel gerade aus der Verpackung schält. Als sie ausgewickelt ist, schlägt der schwere Sportsmann ein paar unsichtbare Bälle. Später reißt Mirko auch das bunte Papier der Buchhandlung von Trixis Geschenk. Da weiß sie schon selbst nicht mehr, was sie sich dabei gedacht hat, gerade dieses Buch für ihn zu kaufen.
»Wunderbar, habe ich schon immer mal lesen wollen«, murmelt er. Und dann nimmt er einen Schluck La Grande Dame und lässt noch zwei, dreimal den weißvergoldeten Crossgolfschläger durch die Luft fegen. Die anderen kommen langsam in Stimmung, von Mirkos Unlust am eigenen Geburtstag ist auch nichts mehr zu spüren. Champagner lagert überreichlich im Kühlschrank, und gegen neun bestellt Sandra etwas zu essen. Aber Trixi langweilt sich. Also setzen sie sich ab. Walter fühlt sich wie gerädert und geht sofort zu Bett.
Erstes Laub löst sich von den herbstlichen Ästen, und Mohnerlieser genießt den Duft der abgefallenen Blätter unter der Morgensonne. Einmal die Arena mit Laub füllen, nicht mit Sägemehl, und dann mit den Groteskschuhen so viel davon aufwirbeln, bis alles darin versinkt – das wäre etwas! Doch als er dann die alten Ziegel der Mauer erblickt, die sein Seegrundstück mit der burgartigen Villa und ihrem Turm aus würdigem Stein einfassen, da lässt es sich nicht mehr unterdrücken, urgewaltig bricht es aus ihm hervor. Diese Hampelmänner wollen ihn fertigmachen?!
Von Lachen geschüttelt schlüpft er aus seinem Jackett und zieht es falsch herum wieder an, mit dem Rückenteil vor der Brust: »Menschenskind, wenn hier nicht der größte Exzentriker unserer Zeit steht …«, vibriert seine Stimme im Flüsterton der Verschwörung gegen den Stumpfsinn des Ernstes. Sein Finger geht an die spitzen Lippen: »Psssst! Pssst!«
Mülltonnentänze
Als sie Walter sagte, dass ihre Suche nach dem Schreibstudio für ihr neues Projekt unterdessen erfolgreich gewesen ist, war er begeistert. Er ließ sich nicht davon abbringen, gleich (mit seinem neuen Auto, in dem es auf kaum zu ertragende Weise nach frischem Leder riecht) hinzufahren und sich von Trixi zeigen zu lassen, wo sie ihren Film vorbereiten würde. Wenn man schon so viel Zeit getrennt voneinander verbringen müsste, wolle er sich wenigstens vorstellen können, wie es bei ihr aussieht. Das folge aus dem »Vierten Hauptsatz der Separativitätstheorie«. Walters fiktive Naturgesetze. Sie hat gerade das von Anfang an genossen: wie sie miteinander lachen können. Trixi sieht auf die Uhr. In einer halben Stunde will sie im Büro sein. Telefon und Computer sollen angeschlossen werden. Was gemacht wird, hat sie nicht verstanden, ein Haufen Abkürzungen, die ihr nichts sagen. Vor den Häusern stehen die Mülltonnen, in allen Farben aufgereiht, viele von ihnen so voller Unrat, dass der Deckel nicht mehr schließt.
Später dann, als der Techniker wieder fort ist, der die kryptischen Buchstabenfolgen auf dem Lieferschein zu ihrer Überraschung einfach deutsch ausgesprochen hat, sitzt sie erleichtert am Tisch. Rechts der Bildschirm und die Tastatur, links das Telefon mit dem Anrufbeantworter. Der Drucker steht auf dem Boden. Trixis Blick geht über diesen Kram und den halb mit krummen Zigarettenstummeln gefüllten Aschenbecher auf ihrem Tisch hin zum Fenster. Walter regt sich auf, wenn ihn adrette Schüler auf der Straße um das anschnorren, was sie Kippen nennen und womit sie nagelneue King-Size -Filterzigaretten meinen. Die Schwerelosigkeit, in der sie sich auf einmal befindet, nimmt ihr die unbestimmbare Last, die sie die meiste Zeit mit sich herumträgt. Falls Walter etwas davon mitbekommt, zeigt er es nicht. Aber jetzt ist das Gewicht ihrer Hände auf der Holzplatte plötzlich wie aufgehoben, sie scheinen zu schweben, als sei ihr Körper aus Luft gemacht. Zwischendurch recht angenehm. Auf die Dauer nicht. Denn Glück, wenn es etwas taugt, hat ihrer Meinung nach sein Gewicht. Gewichte. Immer geht es um alles, aber nicht im Großen und Ganzen, sondern im Kleinen und Einzelnen, als Addition von Genauigkeiten. Eine Tonne, das sind eine Million Gramm. Unten im Hof wird einer von Kupkas Lieferwagen mit Parkettstäben beladen – große, würfelförmig in Plastikfolie eingeschweißte
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