Alles Zirkus

Klimazonen seines neuen Autos genauer einzustellen. Ganz so, wie er es sich wünscht, bekommt er es nicht hin. Trixi würde ihn ohnehin am liebsten bitten, einfach die Fenster zu öffnen, hält sich aber zurück. Sie passieren das, was von der Grenze übriggeblieben ist, nicht bei Kehl, sondern etwas weiter südlich, so dass sie erst hinter Straßburg auf die Autobahn 35 gelangen. Am Himmel glänzt die Sonne. Zähflüssig bewegt sich der Wochenendverkehr auf Colmar zu. An diesem strahlenden Morgen sind sie gleich nach dem Frühstück aufgebrochen. Walter fühlte sich nach einer Nacht mit üblen Träumen, in denen er sich schon wieder zum dummen August verwandelt hatte, nicht sehr sicher auf den Beinen, ein mäßig willkommener Gast in der eigenen Haut. Trotzdem hat er Trixi und sogar sich selbst mit dem Vorschlag überrascht, einen Ausflug zu unternehmen. Falls das Wetter stabil bliebe, aber warum sollte sich der Online-Wetterdienst diesmal irren, könnten sie über Nacht fortbleiben und erst im Lauf des Sonntags zurückfahren, sagte er mit so viel Gelassenheit, dass es das Vage und Bange in seiner Brust wegspülte, bevor Trixi überhaupt etwas davon mitbekommen konnte. Wäre es nach ihr gegangen, hätten sie das längst schon einmal getan: Abstand genommen, um von außen einen Blick auf das Hamsterrad zu werfen.
    Dabei fährt man keine Stunde hinüber ins Elsass, und eigentlich ist es erstaunlich, dass sie das nicht viel öfter ausnutzen, plaudert er jetzt, inzwischen ganz unbeschwert, während der Wagen summend über die Autobahn zieht und ihm dies oder das durch den Sinn geht. Die dezente Leichtläufigkeit der Maschine deutet enorme Kraft an, ein leises Tippen des Fußes kann sie freisetzen. Ganz einfach ist das, und wozu alles andere so kompliziert machen? Trixi hat natürlich immer ihren eigenen Kopf. Sie ist Gott sei Dank unverwechselbar, hebt sich immer ab von den anderen. Auch von ihm. Gehört er in ihren Augen zu den anderen? Manchmal überschreitet sie die Grenze zum Gewollten, zur Überumständlichkeit, hinter der sie anscheinend auch ihn zurücklässt. Was hat sie eigentlich dazu bewogen, Mirko diesen Roman mitzubringen?
    Sie antwortet nicht, dreht die Scheibe herunter und zündet sich eine Zigarette an.
    Er muss sich jetzt auf den Verkehr konzentrieren, weil ein amorpher Pulk schwerer Ruhrgebiets-Motorräder von hinten anbraust und schwarzölig in die Lücken zwischen den anderen Fahrzeugen sickert.
    Sie habe, sagt Trixi, bei Zabels Geburtstag diese neue junge Mitarbeiterin kennengelernt, Kerstin, oder wie sie heiße: Die habe sich ziemlich unverhohlen lustig gemacht über den ganzen Rummel um so etwas Idiotisches wie diesen Golfschläger.
    Cora? Ein Küken, sagt Walter in einem Ton, der deutlich macht, wie unerheblich für ihn das Geplapper seiner Kollegin ist.
    Was sei dagegen einzuwenden, dass sie Zabel nicht einen Beutel blattvergoldeter Golfbälle, sondern etwas zu lesen mitgebracht habe?
    »Nichts, nur dass Mirko sich vielleicht unkomfortabel dabei gefühlt hat, seine simple Spielfreude dadurch abgewertet fand.«
    »Unkomfortabel! Das Buch ist selbst ein Spiel und ziemlich komisch.«
    »Harlekine? Da kenne ich Amüsanteres.« Walter gibt Gas, so dass Trixi ins Lederpolster gedrückt wird, schnell vorbei an der langen Reihe gemächlich dahinrollender Wochenendfahrer.
    Außerdem, habe sie vielleicht vergessen, dass Mirko und er in einem Boot sitzen? Sie beschäftigten sich mit derselben Materie, und zwar sehr ernsthaft und leidenschaftlich. Beide gingen sie zusammen dieser Arbeit nach, die ihr Mitleid wecke. Ihre Überheblichkeit störe ihn. Was wisse sie denn von den Tiefen und Untiefen in Mirko Zabel?
    Diese Betrachtung stellt alles auf den Kopf, denkt sie, sagt aber nichts mehr dazu.
    Der schwere Wagen, in dem sie deutlich höher sitzen als in ihrem alten, schwebt vor sich hin. Walter hält das Lenkrad mit den Fingerspitzen ganz unten, seine Unterarme ruhen auf den Schenkeln. Neben der Autobahn sind Reklametafeln in die Felder gepflanzt, mit denen die konkurrierenden Orte des Landstrichs den Touristenstrom in ihre Richtung zu kanalisieren suchen. Da gibt es das Sauerkrautfest , das Herbstfest , das Kastanienfest , das Kürbisfest , das Weinlese - und das Winzerfest sowie natürlich jede Menge einfacher Weinfeste den ganzen Monat über. Walter greift mit der rechten Hand in Trixis Nacken und gibt ihr mit dem warmen Druck seiner Finger zu verstehen, wie er es genießt, unbeschwert mit ihr durch den