Alles Zirkus
Stadt gekommen. Nach einiger Zeit und einem Spaziergang, der mehrmals an denselben Plätzen und Ecken vorbeigeführt hat, setzen sie sich auf die Terrasse vor ein hauptsächlich von jüngeren Leuten aus dem Ort besuchtes Restaurant. Walter registriert, dass der Kellner besser deutsch spricht als er selbst französisch, bestellt ein großes Bier, und während sie ihr Essen aussuchen, wobei Trixi eine Zigarette raucht, merken sie, dass sie sich immer besser fühlen. Die schlichten Lokale damals in München, in denen sie vor oder nach den Kinovorstellungen saßen – daran erinnert dies hier ein bisschen. Nur der Film fehlt.
Trixi hat noch Lust auf Nachtisch, Walter nimmt Käse. Und weil der Riesling erfrischend ist, lässt er einen halben Liter nachkommen. Der Kellner hat die Bestellung gerne entgegengenommen, viele essen hier einfach Nudeln oder einen Salat. Walter freut sich, dass er die Idee zu dem Ausflug gehabt hat.
Jetzt ist nichts einfacher für Walter, als Trixi zu fragen, wie sie eigentlich vorankommt und ob ihr die Vorbereitung ihres neuen Films noch Spaß macht. Wenn man so arbeitet wie sie, dann gibt es ja keinen anderen Grund, etwas zu tun oder zu lassen, als die Freude an der Tätigkeit und das Interesse an den Fragen, mit denen man sich aus eigenem Trieb beschäftigt.
Antrieb, korrigiert Trixi. Eine Quelle ihres Antriebs, diesen Film zu machen, sei die Diskrepanz zwischen Lindners Bedeutung und der geringen Beachtung, die seine Kunst derzeit finde. Die Freude an der Arbeit löse übrigens noch nicht die Aufgabe, die sich ihr stelle, nämlich die Sprache zu entwickeln, um sagen zu können, was dazu gesagt werden müsse.
»Großartig«, sagt Walter.
Die Nacht kühlt langsam ab. Sie bestellen noch mehr Wein.
»Du hast so klare Vorstellungen von seriöser und schöpferischer Arbeit, manchmal frage ich mich«, sagt Trixi, »woher du sie beziehst. Oder wie du bei diesen Maßstäben in deiner Brust mit dem Leben klarkommst, das du führst. Kannst du dich erinnern, wie wir über jeden Film gesprochen haben – damals, als du noch Raketen gezeichnet hast? Und nun – bist du jetzt der Enthusiast, der seine Träume hegt, der Zyniker, der sie längst verraten hat? Der, in den ich mich verliebt habe, oder wer bist du? Und ich – weißt du überhaupt, wer ich bin?«
»Ich bin aus der Verankerung gerissen und gehöre nicht zu den Einfaltspinseln, die immer in vollster Deckungsgleichheit mit ihrem sogenannten Ich durch die Welt stolzieren. Du, als Südtirolerin und mit deinem italienischen Vater, bist natürlich Spezialistin für diffizile Identitäten. Du bekommst nicht mit, was es bedeutet, sich nicht in einem fort wie ein Gorilla auf die Brust zu schlagen: Ich! – Ich! – Ich! Und in der Realität – wozu auch die Wirtschaftskrise gehört, die du ignorierst – nicht aufzugeben. Das anzuerkennen, da sei dein Hochmut vor. Und die Bescheidung auf den Kosmos in deiner Schneekugel.«
Das Klappern einer leeren Getränkedose, mit der ein paar Jungs irgendwo Fußball spielen, kommt aus dem Dunkel.
»Ich liebe dich, Trixi«, sagt er leise, »heute mehr denn je.« Walter sieht sie leicht betrunken an.
Taxisound
Die Woche hat damit begonnen, dass mehrere Stammkunden erklärten, vorläufig keine neuen Aufträge erteilen zu wollen – und zwar mit ähnlich klingenden Begründungen, fast bis in den Wortlaut gleich. Sein Chef weigert sich, darüber nachzudenken. Wie es allerdings in seiner eigenen Brust aussieht, das behält Walter für sich. All der Unsinn, der sich neuerdings in ihm breitmacht, sobald er die Augen schließt. Neben ihm atmet Trixi in beneidenswertem Gleichmaß. Ihr sagt er von diesem Problem erst gar nichts. Den Spott, zu dem sie fähig ist, benötigt er hier am wenigsten. Ein Clown mit einer roten Nase ist zu seinem nächtlichen Alter Ego geworden! Er hasst weniges mehr als Zirkusclowns. Draußen fahren mit aufbrausenden Maschinen Taxis durch die Nacht. Der unverwechselbare Taxisound, denkt er. Wie spät es wohl sein mag, die Nachtmusik: Taxis im Regen vor dem neuen Tag. Trixi bringt neuerdings die Vergangenheit ins Spiel? Aus gutem Grund will Walter ihr nicht verraten, mit welchen Unannehmlichkeiten er sich noch im Schlaf abplagen muss, aber eigentlich darf er erwarten, dass sie es auch so mitbekommt. Früher jedenfalls, ist er sicher, hätte Trixi es gefühlt.
Nun ist er alleine mit dem Schattenspiel hinter seinen Lidern. Er dreht sich auf den Rücken. Schon wieder ein Taxi. Der
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