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Alles Zirkus

Alles Zirkus

Titel: Alles Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Brandt
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Morgen? Trixi hat es gut – sie erholt sich in aller Behaglichkeit von ihren allzu umständlichen Überlegungen zu einem offenbar unrealistischen Filmvorhaben. Trixi und ihre Vernarrtheit in ermüdende Probleme. Was gäbe er darum, ebenso bequem daliegen zu können, um einfach nur zu schlafen …
    im Wartezimmer seiner Praxis sitzt nämlich schon wieder diese Frau Dankwart – alle paar Wochen kommt sie und geht nicht weg, bevor er sie operiert hat. Dabei hat er Mal um Mal darauf hingewiesen, dass auch für sie die Gesetze der Statik Geltung besitzen. Aber sie lässt sich durch kein Argument aus dem Konzept bringen, ihr Äußeres sukzessive dem Ideal einer Kurbelwelle anzunähern. Walter möge sie doch bitte als Arzt darin unterstützen. Nach jedem Eingriff nestelt sie noch etwas an den um ihren Leib geschlungenen Verbänden über den frischen Nähten und verlässt dann umstandslos die Praxis – aber erst danach.
    Ihre Stirn ragt ohnehin so gewagt über die Brauen, dass Walter sich fragt, mit welcher Schnitttechnik er einen Masseausgleich bewerkstelligen soll. Jetzt sitzt sie, frisch versehen mit aufwendig unterfütterten Pleuelwangen, seit letzter Woche ausgestattet mit diversen neuen Kröpfungen im Schulterbereich sowie exzentrisch zum Rückgrat angeordneten Zapfen an den Gliedmaßen, wieder im Wartezimmer und verlangt aufs neue operiert zu werden.
    Diese Patientin hat vor der ersten Behandlung bei seiner Sprechstundenhilfe einen Stapel Tausenddollarscheine hinterlegt und darauf bestanden, dass auf der Karteikarte, die für sie eingerichtet wurde, hinter ihrem Namen dick unterstrichen steht: Unter keinen Umständen anästhesieren!! Inzwischen spannt sich die Haut über den Straßenkreuzer-Flossen auf den künstlichen Schulterblättern der dritten Generation zum Zerreißen. Stolz erhebt Luise Dankwart die kürzlich noch einmal ausgebaute Oberstirn.
    »Das wird jetzt sehr weh tun!«, hat er die Frau gewarnt.
    »Leider nicht genug, Herr Doktor Mohnerlieser. Hauptsache, die Arbeit wird sauber ausgeführt, machen Sie sich wegen des Kitzels keine Gedanken, ich bin nicht aus Weichporzellan fabriziert. Aber dann sind Sie doch wieder so vorsichtig, dass man von den Schmerzen nicht mehr merkt als ein paar Schnitte und das Knochenraspeln.«
    Kann sein, denkt Dr. Mohnerlieser, muss aber auch nicht stimmen. Es gibt Leute, die in Fällen wie diesem die Formulierung »Kann aber auch nicht sein« benutzen, Idioten nämlich. Und dann sieht er, dass er wieder dieses groteske karierte Jackett mit den bunten Flecken darauf trägt. Er fasst sich an die Nase und stellt fest, sie ist aus Pappe.
    Walter legt sich auf die Seite, nimmt einen Schluck Wasser. Vielleicht wird ihm ein Sonett helfen, möglicherweise erlöst ihn das aus der Schattenwelt, aber als er zu den Zeilen gelangt ist: »And every fair from fair sometimes declines/By chance, or nature’s changing course untrimm’d …«, gibt er auf. Der Lärm, mit dem die Taxis vorüberziehen, ist erstaunlich. Neben ihm liegt in tiefem Schlaf seine Frau. Oder? Was, wenn sie nun viel mehr mitbekommt, als sie zeigt, wenn sie gar nicht so arglos ist, wie sie tut? Vielleicht wartet sie nur darauf, dass er mit den Entscheidungen in Schwierigkeiten kommt, die er für sein Leben getroffen hat und die ihr nicht gefallen, weil sie dadurch weggeführt wurden aus ihrem beschaulichen Nest über der Isar.
    Er sucht ihr Gesicht. Die Lider, mehr zu ahnen, verstecken ihren tiefen Blick. Zuerst ist er in den Bann dieses Blicks geraten. Mehr war nicht nötig, als dass sie ihn anschaute. Das Wissen in ihren ernsten Augen ist ein tiefer See, der sich alles holt, alles in sein unendliches Wasser zieht, um es dort zu wissen.
    »The sun itself sees not, till heaven clears./O cunning love, with tears thou keep’st me blind,/Lest eyes well seeing thy foul faults should find«, er gleitet endlich in den Schlaf hinüber.

Sphärenverkehr
    Beim Verlassen des Hauses schaut Walter Tomm nach, ob schon Post gekommen ist. Ein Brief nur liegt im Kasten, für ihn. Er steckt ihn ungeöffnet in die Tasche. Nichts Wichtiges. Neben einem unbeholfenen Logo steht auf der Rückseite Institut für Diskrete Mathematik , aber er nimmt an, dass sich dahinter eher eine Schnüffelstelle für indiskrete Marktforschung verbirgt. Er bemerkt, dass sein linker Schuh beim Gehen pfeifende Geräusche von sich gibt. Die Sohle schlappt, das ist am Vortag noch nicht so gewesen. Noch einmal in die Wohnung zurückgehen will er nicht und

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