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Alles Zirkus

Alles Zirkus

Titel: Alles Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Brandt
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er will sie persönlich in seinem Verzeichnis finden. Schließlich spricht er lächelnd einige Worte ins Telefon und richtet ihr dann aus, sie werde am Eingang abgeholt. Während sie zusammen im Lift nach oben fahren, lässt Nitschke die Finger der linken Hand flattern, als ob der Wind in ihnen spielte. Die Sehnen, erklärt er – sie schnitten ihm in die Knochen. Trixi wundert sich, dass er die Hand dann nicht lieber ruhig hält, statt alle Sehnen gleichzeitig in die Knochen sägen zu lassen. Für ihn als Linkshänder, redet er weiter und entfacht einen kleinen Fingersturm, bedeute diese chronische Behinderung, dass es ein für alle Male vorbei sei mit dem Schreiben. Offen nur noch die Frage, wann sich die Frühpensionierung, gegen die er sich stemme, wirklich nicht länger umgehen lasse.
    Die Hand sei ja noch das wenigste, brummt er, als sie sein kleines Büro im sechsten Stockwerk erreicht haben. Der Elektrosmog aus den Monitoren, vor dem er seit Jahren warne, ohne dafür mehr als ein Schulterzucken zu ernten, gilt seit drei Wochen offiziell als lebensgefährliche Tatsache. Stündlich rechne man mit der gerichtlich verfügten Schließung sämtlicher Schneideräume. Das bedeute für ihn dann auf jeden Fall den Abschied, denn in irgendein Provisorium lasse er sich am Ende eines Berufslebens, das seine Gesundheit ruiniert habe, nicht mehr abschieben. Das, wofür sie sich auf die Reise zum Sender gemacht hat, die Frage nämlich, ob die Filmidee, die sie vorstellt, realisiert werden soll oder nicht, bleibt unerwähnt.
    Nach zwanzig Minuten zeigt Nitschke plötzlich auf ihr Exposé: »Verstehen Sie, liebe Frau Ghedina, ich bin ein Auslaufmodell. Wenn ich mich jetzt für diesen Film hier interessierte, könnte ich ihn wahrscheinlich gar nicht mehr durchziehen. Verraten Sie mir aber so viel – wo sehen Sie eigentlich die Aktualität einer so eingehenden Beschäftigung mit einem Künstler, der seit dreißig Jahren nicht mehr lebt und um den es, so viel darf man schon sagen, auch etwas ruhig geworden ist?«
    »Warmherzigkeit verbunden mit einem Wissen um den Abgrund, in den die Leidenschaft blicken kann, daraus machte er einzigartige Malerei. Kennen Sie seine Bilder?«
    »Sicher, vor vierzig Jahren war das alles sehr interessant: Auch wir haben unseren Pop-Künstler, einen emigrierten Juden in New York und so weiter. Sie wollen also eine Dokumentation über einen Naziverfemten erstellen. Eine wichtige Aufgabe. Die aber gelöst ist. Wissen wir das nicht alles? Geht es heute nicht um andere, radikalere Positionen?«
    »Die schwarze Silhouette einer Frau in Stöckelschuhen vor einem roten Hintergrund, die sich gerade auszieht – im Visier eines Voyeurs im fliederfarbenen Mantel, der in ein Tigerfell übergeht. Abstrakte Muster, die sich als Geschlechtsteile erweisen und umgekehrt. Wer sonst hat das je gemalt?« Trixi spürt, dass sie ins Leere kämpft.
    »In Tausenden von Filmen ist die Nazizeit mit all ihren Auswirkungen beleuchtet und ausdifferenziert worden«, spricht Nitschke betont deutlich weiter, der sich über sie ärgert, weil er es nicht gewohnt ist, auf taube Ohren zu stoßen, »jeder weiß, was von den Nazis politisch, moralisch und mit gewisser Einschränkung auch künstlerisch zu halten ist. Das immer weiter erzählt zu bekommen ist nicht aufregend.«
    »Daran liegt mir doch überhaupt nicht.«
    »Schauen Sie sich um, was heute geschieht: Da treten jüngere Künstler an, die gar nicht mehr so tun, als strebten sie eine Art Schönheit an, wie Ihr Lindner. Die nicht daran denken, zu argumentieren, zu belehren, zu diskutieren. Fettecken und Bäumepflanzen? Können Sie vergessen. Die recken jetzt den Arm zum Hitlergruß in die Luft und lassen uns mit dieser Provokation stehen. Begreifen Sie? – das ist spannend. Für einen Film darüber finden Sie in mir sofort einen Partner.« Seine Finger sind zur Ruhe gekommen.
    »Ich interessiere mich für einen Maler, der augenblicklich nicht in Mode ist. Aber ich versichere Ihnen, dass seine Bilder geschichtlichen Bestand haben werden. Er hat auf seinem Sonderweg eine Tür aufgemacht. Seine Wurzeln liegen hier in Deutschland, und als Deutscher, das hat er selbst bekannt, glaubte er noch nach Jahrzehnten in New York, Leichtigkeit sei dasselbe wie Oberflächlichkeit. Für meinen Film ist die Tatsache, dass er als Antinazi und Jude ins Exil musste, gar nicht so sehr von Belang. Was mich fesselt, ist die Originalität seiner Kunst.«
    »Davon gibt es reichlich. Wir sind hier

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