beim Fernsehen und brauchen Auswahlkriterien. Wir kümmern uns vor allem um das, was heute virulent ist. Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer interessiert mich die Frage: Was sagt mir die Kunst darüber, in welchem Land wir leben? Wer wir sind, Frau Ghedina.«
»Ach ja, Deutschland und seine schwierige Frage nach der eigenen Identität.« Trixi lässt sich ihre Enttäuschung anmerken und klappt ihr Notizbuch zu.
Clownsbedarf
An seinem Schreibtisch im Institut für Diskrete Mathematik sitzt der Direktor und blättert zufrieden in der neuesten Ausgabe der Manegenrundschau . Wie gut sein Einfall war, einen professionellen Kommunikator einzuschalten, wenn es darum geht, aus der eigenen Wagenburg herauszutreten, das werden die neidblassen Kollegen bei der sensationellen Präsentation der vollständigen Lösung des Vierfarbenproblems durch ihn und seine Leute zu sehen bekommen. Da weht nämlich ein frischer Wind bei ihnen! Es ist sein Institut, er hat nur die besten Leute versammelt – den blitzgescheiten Namura, womöglich ein Abelpreiskandidat, die sollen nur aufpassen, oder Haraldsen, den Schweiger aus Stavanger, der seinen Führerschein schon in der ersten Woche nach seiner Ankunft im deutschen Schnapsparadies losgeworden ist, aber auch volltrunken noch jeden an die Wand kalkuliert: Wissenschaftler, von denen die Welt noch hören wird und die unter seinem Dach endlich den entscheidenden Schritt zur vollständigen Aufklärung des ganzen Sachverhalts gemacht haben. Solchen Leuten muss man den Rücken freihalten und einen zeitgemäßen Rahmen schaffen für diese Leistungen. Maier kneift die grauen Augen zusammen und vertieft sich in das Dekor der Kaffeetasse vor ihm: Und was dabei herauskommt, darf man dann, gerade wenn es sich um spektakuläre Resultate ihrer Arbeit handelt, natürlich nicht einfach sich selbst überlassen! Die Klärung des Vierfarbenproblems ist eine Weltsensation, und er denkt gar nicht daran, sie im routinierten Einerlei untergehen zu lassen.
Er hat vorgezogen, sich an die beste Werbeagentur zu wenden, und deren Chefdenker ist auch gleich klar gewesen, worum es geht. Natürlich ist es teuer, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen, viel zu kostspielig für eine Institution wie seine. Aber offensichtlich ist es auch für Koryphäen aus der Werbung nicht ohne Reiz, wenn ihr Name sich mit einer glanzvollen wissenschaftlichen Leistung, mit einer exzellenten Forschungseinrichtung wie seinem Institut verbinden kann – mehr wert als manches Honorar. Am Morgen im Bahnhofskiosk hat er die Manegenrundschau zwischen Pornomagazinen und Anglerzeitschriften hervorgezogen. Vielleicht kommt er beim Durchblättern auf noch so einen Geistesblitz wie das Gleichnis vom brückenbauenden Clown, mit dem er Tomm auf die Sprünge helfen konnte. Keinesfalls darf der sich der Illusion hingeben, es mit einem altmodischen Verein von kreideverschmierten Sonderlingen zu tun zu haben. Wie mag so eine Publicrelationsagentur wohl arbeiten? Vielleicht kommt eine Matt-Damon-Parodie als Will Hunting vor einer großen Schultafel dabei heraus. Oder ein Rap-Sänger, der die Formeln zu knallharten Rhythmen herunterrattert? Vielleicht wird ja noch ein Hit draus.
Und damit es nicht allzu lange dauert, bis die Agentur von sich hören lässt, beschließt der Professor jetzt, Tomm schon einmal zwischendurch eine witzige Erinnerung zu senden. Sie haben sich gleich verstanden – warum das abreißen lassen? Nachdem sie soweit im Geschäft sind, am besten per E-Mail direkt von Schreibtisch zu Schreibtisch. Die Adresse der Agentur ist schnell ausfindig gemacht, und schon drückt Maier vergnügt den Knopf, mit dem er einigen Herstellern von Clownsbedarf mitteilt: Walter Tomm <
[email protected] > bittet um Angebote.
Dreckbrühe
Die vormittägliche Lagebesprechung hat Walter verpasst – vielmehr ist sie ausgefallen, wie Mirko ihm säuerlich mitgeteilt hat. Walter ist zunächst zur Werkstatt gefahren, um das Auto in Reparatur zu geben. Nun sitzt er in der Agentur und fühlt sich geschlagen, noch bevor er wieder ins Feld ausgerückt ist – inzwischen kein alberner Ausdruck mehr zur Dramatisierung langweiliger Bürotage, sondern eine Verharmlosung. Ein blindwütiger Krieg um Aufmerksamkeit ist entbrannt, Kampf bis aufs Blut, jeder gegen jeden. Aufmerksamkeit schenken, hat es einmal geheißen. Niemand bekommt mehr irgendetwas geschenkt.
In der Innenstadt tauchen gelegentlich Leierkastenspieler auf, die noch immer ihre alten Walzen drehen und