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Alles Zirkus

Alles Zirkus

Titel: Alles Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Brandt
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Frisierkommode auf, zieht die Jacke mit den großen Karos und den bunten Flicken darauf aus und entledigt sich der plump überdimensionierten Witzschuhe, um sich nach getaner Arbeit heimzubegeben.
    Auf dem Weg zum Ausgang kommt Walter – um den es sich bei ihm jetzt Gott sei Dank wieder handelt, wie er feststellt, denn die Idee, dass Trixi sich mit diesem Clown einlässt, ist mehr als bedrückend – an den gegeneinandergestellten Schreibtischen seiner Mitarbeiter vorbei. Er sagt aber nichts Abfälliges, während der Klang seiner Schritte auf dem Weg hinaus durch die Korridore hallt, mit der halb abgelösten, klatschend ventilierenden Sohle. Wichtig nur, dass er bald zu Trixi nach Hause gelangt und ihr dort etwas zeigt, was sie noch nie gesehen hat. Doch je schneller er läuft, gar nicht mehr darauf achtend, was die schleppende Sohle an Geräuschen produziert, desto länger werden die Gänge. Hinter jeder Ecke setzen sie sich fort. Ja, sie nehmen gar kein Ende mehr …
    Unausgeschlafen und zerschlagen lässt er am nächsten Morgen das kalte Wasser mit voller Wucht auf die Duschkappe und seine taube Haut prasseln, ohne eine Ahnung davon, wie abzuwaschen ist, was sein Bild in den Augen der Frau, die ihm alles bedeutet, jetzt durch ein paar lächerliche, aber haargenau plazierte Nebensächlichkeiten entstellt. Wieso ist man allem so ausgesetzt? Warum gibt es keinen Schutz? Falls im Louvre einer heimtückisch den Filzstift aus der Tasche zieht, um mit einem einzigen Strich die ganze Mona Lisa zu verschandeln, stößt er auf Panzerglas.

Tango
    Das linke Hinterfenster seines Autos ist in tausend Splittern auf den Innenraum verteilt. Ein weißlicher Teppich bedeckt glitzernd wie Neuschnee das Leder der Rückbank. Tomm setzt sich ans Steuer und betrachtet durch die intakte Windschutzscheibe den makellosen schwarzen Glanz der Kühlerhaube. Alles wie am Vortag, alles wie immer in den letzten zwei Monaten, seit er den Wagen abgeholt hat – bis er den Blick wieder senkt und bemerkt, dass es auch hier vorne neben ihm aus den Tiefen der Polsterung funkelt. Scharf sind die Glaskrümel nicht. Patentierte Sicherheitsfenster. Das Sichere daran ist offenbar nicht, dass sie Schlägen standhalten, sondern auf welche Weise sie unter ihnen zerbröseln. Warum die eingeschlagene Scheibe? Um ihm Schuld und Schande anzukleben, eine Ohrfeige aus dem Nichts? Was hat er getan, wenn es wirklich so ist, wie Trixi glaubt, nämlich dass man an allem beteiligt ist, was einem widerfährt. Walter hat es nie fertiggebracht, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Und was er hier sieht, erscheint ihm als Zerrbild wirklicher Möglichkeiten. Die Sinnlosigkeit selbstzweckhafter Zerstörungswut springt über auf das, was sie angreift. Ihre Absurdität lässt den Zustand, den sie beseitigt hat, im Nachhinein absurd erscheinen, da ein einziger Akt rigoroser Gewalttätigkeit gelangt hat, ihn ohne weiteres zu beenden.
    Walter schaut sich um. In ihrer Straße, im ganzen Viertel stehen Autos mit eingeschlagenen Fenstern. So viele, dass rasch etwas unternommen werden muss. Trotzdem merkt er, wie er aufatmet. Wenigstens ist er nicht allein mit seiner Schuld. Dann zieht er das Telefon hervor und meldet der Polizei, dass ein Irrer herumzieht und Autoscheiben zertrümmert.
    Die Dame am anderen Ende der Leitung erkundigt sich aufgeräumt nach einer Liste aller Kennzeichen, um rasch die Halter sämtlicher beschädigter Fahrzeuge benachrichtigen zu können.
    Deshalb rufe er nicht an, sondern damit sie einen Streifenwagen losschicken, um den Täter zu fassen.
    Dann möge er im Präsidium vorbeikommen, um dort »Anzeige gegen Unbekannt« zu erstatten. Daraufhin gibt er Sandra Bescheid, dass sie die Vormittagslage ohne ihn abhalten müssen.
    Die Zeiten herrischer Wachtmeister sind vorbei. Bei seiner Ankunft haben zwei junge Frauen ihm lächelnd ein freundliches »Hallo!« entgegengehaucht. Nun wartet er im Foyer des Polizeipräsidiums. Eine lichtdurchflutete Halle ganz aus Kristall – keine Löcher, keine Scherben. Draußen vor der Glitzerfassade starten kraftstrotzende Polizeimotorräder, andere werden abgestellt, und wenig später stapfen die Fahrer in luftdichter Montur am Empfang vorüber. »Mahlzeit«, gurren die Frauen, ehe die Kollegen ihnen zuvorkommen.
    So einsilbig wie an diesem Morgen ist Trixi selten zu erleben gewesen. Irgendwann hat er es aufgegeben, weiter nach einem Gesprächsstoff zu suchen. Wieso dann allerdings er es ist, der das Gefühl des Ungenügens

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