Alles Zirkus
sogar den mechanischen Affen die Zymbeln schlagen lassen. Manche Passanten werfen im Vorübergehen eine Münze in den Korb. Stehen bleibt selten einer, höchstens mal für einen Moment ein verträumter Vater mit seiner kleinen Tochter an der Hand. Walter erinnert sich gut an die Zeit, als es selbst in Berlin noch gelangt hat, auf der Straße mit der Gitarre herumzusitzen, um einen Tumult zu verursachen. Der Wirbelsturm aus Bildern, Tönen, Appellen, Provokation und Einschmeichelei hat nichts von dieser Welt übriggelassen als ein paar belanglose Schnörkel am Rand. Ein Taifun unerbetener Mitteilungen fegt über die Erde, und mittendrin soll er dafür sorgen, dass gerade jene Botschaften nicht übersehen werden, die ihre Agentur überbringen will? In welche Schlacht soll er überhaupt ziehen? Er schaltet den Computer an und findet eine Nachricht von Trixi vor: Es wird heute spät bei ihr, da sie mit Pavol Schuster, dem Kameramann, über ihren Film sprechen will. Walter ist selbst verabredet. Hat er vergessen, ihr Bescheid zu geben, dass die Mitarbeiter der Agentur am Abend zusammen essen gehen?
Sie sitzen in irgendeinem der unangenehmen Restaurants zusammen, wie sie Mirko für Gelegenheiten dieses Zuschnitts nach schwer zu verstehenden Kriterien aussucht, und trinken. So bald wie möglich macht Walter Kopfweh geltend, was nicht einmal eine Lüge ist. Schwarze Löcher der Langeweile sind anstrengend genug, aber wie ertragen manche Kollegen es bloß, abends auch noch nach Reykjavik, Tallinn und Irkutsk zu fliegen, um sich dort, mit Drogen vollgepumpt, von Basslautsprechern plattmachen zu lassen? »Oh, full of scorpions is my mind, dear wife!« Wie hat er es satt, in Demutshaltung vor Trixi auf den Knien herumzurutschen. Was gibt ihr das Recht, ihn zu verachten? Einen Menschen, der das Leben zu meistern weiß und den man sogar zu lieben vorgibt, systematisch seiner Standsicherheit zu berauben, ihn zum hilfsbedürftigen Krüppel herunterzubrechen, wenn das nicht radikalste Erniedrigung bedeutet! Sie, die nichts von alledem mitbekommt, was er in diesen Zeiten auszuhalten hat. Damit ist Schluss. Noch an diesem Abend wird er Trixi zur Rede stellen. Erregt starrt Walter auf den Tachometer des Taxis, als ließe sich mit Blicken die Geschwindigkeit hochtreiben.
In der Wohnung ist Trixi allerdings nicht vorzufinden. Sie unterhält sich offenbar prächtig. Man hat unter Filmleuten ja auch Amüsanteres zu besprechen als den Untergang der Welt. Seiner Welt. Ihrer aller Welt. Er hängt den Anzug auf den Balkon an die frische Luft, stellt sich unter die Dusche, nimmt einen Band Shakespeare-Komödien aus dem Regal und legt sich ins Bett. Vielleicht hat Bob, der an diesem Abend wieder alleine zurückgeblieben ist, angenehm geträumt – jetzt trapst er heran und springt zu ihm auf die Decke, um sich den Rücken kraulen zu lassen. Zwischen den Seiten der meisten Bücher, auch in diesem, begegnen Walter ein paar von Bobs Haaren, jetzt werden es vielleicht ein paar mehr.
Irgendwann kommt Trixi nach Hause. Er hat schon eine Weile geschlafen und wird von ihrem lauten Gepolter aufgeweckt. Sie wirkt alkoholisiert. Beim Zähneputzen beginnt sie plötzlich laut zu lachen.
Was an ihm ist in ihren Augen so ungeheuer komisch, fragt er sich …
und fährt seine Sekretärinnen hinter den gegeneinandergestellten Schreibtischen an: »Fertigen Sie das Plädoyer gefälligst doppelt aus, meine Damen, wenn ich bitten darf, denn der Richter kann nachher seine Begeisterung wieder nicht zähmen und wird mich natürlich bitten, ihm ein persönlich gewidmetes Exemplar zu überlassen!«
Damit ist sein inneres Gleichgewicht wiederhergestellt, und beim Gedanken daran, wie sie wohl aus dem Sekretärinnenpulloverkragen hervorlugen werden, wenn ihnen dämmert, dass sie mit ihrer gesammelten Pedanterie dem Clown als solchem zu dienen haben, schüttelt er sich vor Vergnügen, während der Klang seiner Schritte auf dem Weg hinüber in den Gerichtssaal den Korridor beherrscht, bis der gebieterische Hall des überdimensionierten Schuhwerks mit der halb abgelösten, klatschenden Sohle verklungen ist.
Der Schuh gibt Geräusche von sich wie ein Luftballon, der sich leert. Das gehört dazu – dazu, dass er all die anderen hochbezahlten Pfeifen bei Gericht in Bausch und Bogen an die Wand plädiert. Der Clown streicht den schwarzen Talar zurück und zieht sich die rote Pappnase ein Stück aus dem Gesicht, bis das Gummiband sie schnurstracks wieder zurückflitzen
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