Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles Zirkus

Alles Zirkus

Titel: Alles Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Brandt
Vom Netzwerk:
lässt, genau dorthin, wo ihr Platz ist. Auch so eine Pointe, die im Gerichtssaal immer wirkt, selbst wenn sie nicht jeder gleich mitbekommt.
    Ohne Frühstück im Bauch, weil Trixi nach dem langen Abend einfach weiterschläft, tritt Walter am nächsten Morgen in die graue Herbstluft. Der Wagen ist in der Reparatur. Jetzt stellt Walter fest, dass es eigentlich ganz angenehm ist, sich um diese Uhrzeit im Nebel zwischen den anderen Menschen durch die Straßen zu bewegen, die alle irgendeinem Ziel zustreben. Wann hat er das zuletzt getan? Was vermisst er denn mehr als den geregelten, gewöhnlichen, nüchternen Gang der Dinge? Übrigens hat nicht jeder es eilig, manche bleiben stehen und holen sich eine Zeitung. Oder sie trinken zwischendurch in einer Bäckerei ihren Kaffee. Eine gute Idee, findet er, kauft bei nächster Gelegenheit ein Gebäck namens Rosinenschnecke und lässt sich dazu einen geräumigen Becher mit Milchkaffee befüllen. Beides übertrifft seine Erwartungen.
    Er schaut zur Seite, wo zwei alte Frauen mit der Tasse in der Hand angeregt plaudern. Draußen vor der Glasfront prüft ein Mann mit einem uralten Campingbeutel, aus dem eine französische Gratiszeitung ragt, den Inhalt seines Portemonnaies, dann tritt er den Stummel seiner Selbstgedrehten aus: »Einen Espresso, extra stark.« Aber die Bedienung belehrt ihn, ein Espresso sei ein Espresso. Sie könne ihm gerne einen doppelten machen. Er winkt ab.
    Walter Tomm denkt, dass der Mann mit dem zerknitterten Gesicht einen Kaffee bestimmt brauchen kann. Die beiden alten Frauen frühstücken Sahnetorte, und Walter fühlt sich gestärkter als irgendwann in den letzten Tagen. Bis ihm etwas einfällt: Trixi hat über ihn gelacht, das ist neu. Nicht über etwas, das er gesagt hat, über keine Ungeschicklichkeit oder irgendetwas Dummes, das ihm unterlaufen ist. Sein Körper, der sich unter der Bettdecke abzeichnete, die Züge seines Gesichts mit geschlossenen Augen haben sie um die Fassung gebracht. So laut musste sie lachen bei diesem Anblick, dass sie ihn aus dem Schlaf geholt hat. Er hat sie nicht wissen lassen, dass er bereits wach war, als sie so beschwingt von ihrem Abend mit Pavol Schuster heimgekommen ist. Spät. Zerschlagen hat er dagelegen. Nach einem unerfreulichen Firmenabend ausgepumpt bis zur Schlaflosigkeit. Was glaubt sie, wer er ist – ein Clown? Walter trinkt den Kaffee aus und geht aus dem Laden zurück auf die Straße, wo der Nebel sich gerade auflöst.
    Der Morgen hat ihm vorgaukeln wollen, es könne vielleicht nicht alles ganz so missraten sein, wie es natürlich doch der Fall ist. Trixi findet ihn zum Lachen. Nachdem sich der Dunst aufgelöst hat, der alle Konturen abmildert und Wesentliches von dem Debakel namens Realität verschluckt, sieht er wieder ganz ungeschönt des Lebens Dreckbrühe um sich herumschwappen. Den Leuten scheint es darin zu gefallen, sie lassen sich gerne mitziehen, und bleibt einer zwischendurch einmal stehen, weil ihm in der Kloake ein Bekannter entgegengeschwommen kommt, dann drehen beide sich wie Hölzchen am Bachrand kurz umeinander im Kreis, bevor die Strömung sie trennt und weiterreißt. Weiter wohin? Ins Büro gehen und zusehen, wie die Welt einstürzt? Warum nicht einfach stehenbleiben und vor sich hin blicken. Dorthin am besten, wo nichts ist. Wie ein Vagant, der keinen will und den keiner braucht, wie ein lächerlicher dummer August. Er gehört doch überhaupt nicht dazu, nicht ins Publikum, das eine Karte kauft und dann brav durchs Spiegelkabinett trottet, weil es einfach nicht begreifen will, dass alles eine einzige Täuschung ist. Er steht doch auf der ganz anderen Seite. Er baut die Spiegel ja eigenhändig auf, aus denen die gesammelte Lachhaftigkeit einen angrinst: der ganze Quatsch wie Vernunft, Kraft, Tempo, Leben.
    Walter Tomm fühlt sich, als stände er auf Millimeterpapier, mitten in einem aufgeschlagenen Geometrieheft. Die zahllosen winzigen Kästchen unterscheiden sich nicht besonders, das bekommt man schnell raus, wenn man einige besucht hat. Statt in den Bildschirm seines Computers zu starren, kann er auch jedes einzelne Kästchen auf dem karierten Papier mit feinen Ornamenten füllen. Oder das ganze Heft mit dem allerhärtesten Bleistift in lebenslanger Arbeit pechschwarz einfärben und zum Verschwinden bringen. Dann hat Trixi noch mehr zu lachen.
    In der Agentur glühen sicher gerade die Rechnerkabel auf den Schreibtischen – und Sandra reißt die Augen auf, weil Mirko herumschreit,

Weitere Kostenlose Bücher