Alles Zirkus
beschließt, keine Sekunde zu warten, sondern jetzt gleich dieses Institut aufzusuchen. Es wird ihn tatsächlich dastehen lassen wie einen Clown. Aber das ist nicht entscheidend. In diesen sauren Apfel muss er jetzt eben beißen – und das zu dem Zeitpunkt, da er gerade dabei war, diesen Glencheck-Schwätzer abzuschütteln, der ihn mit einem Varietékünstler verwechselt. Nun muss er das Ruder herumreißen und erst einmal so tun, als läge doch keine Verwechslung vor, weil sich hinter Kreativdirektor Walter Tomm von der Werbeagentur Zabel und Freunde in Wirklichkeit ein begeisterter Hanswurst versteckt. Sonst kommt er nicht an den Brief.
Zu Fuß macht er sich auf den Weg. In seinem Wagen kutschiert ja jetzt ein Soldat herum. Wie ist so ein Clown überhaupt ausgestattet, wenn er auch nur den geringsten Anspruch darauf geltend machen darf, ernst genommen zu werden? Und das bedeutet wohl: lächerlich sein in Perfektion. Auf so etwas kommt man, wenn man den ganzen Tag mit Zahlen jongliert, nimmt er an und drückt den Knopf an der Fußgängerampel länger als sonst, auch wenn er weiß, dass es nichts nutzt, aber der Strom von Fahrzeugen aller Art will einfach nicht abreißen. Walter Tomm findet sich durchaus nicht zum Lachen. Auch nicht seine Erscheinung, hochgewachsen und schlank, wenn auch leider unsportlich, dafür mit stets gut ausrasierten, gesund durchbluteten Wangen rund um die energische Nase, und das immer noch volle rote Haar trägt er lang und glatt in den Nacken zurückgekämmt, wo es sich über dem Kragen ein wenig kräuselt. Sieht so ein Zirkusclown aus?
Diesmal ist reichlich Platz hinter dem Institut, und das Parken würde gar kein Problem darstellen. Bis zu einem gewissen Grad ist er jetzt auf das Wohlwollen dieses Mathematikers angewiesen, der im Verdacht steht, ziemlich kauzig zu sein. Solche Menschen sind selbst die Letzten, die diesen Umstand in Betracht ziehen. Sie leben eingesponnen in ihre eigene Welt und halten sie für die wahre. Er muss so tun, als sei er auf einmal doch von der Idee des Professors begeistert, ja brenne geradezu darauf, den Harlekin zu geben, der seine Landkartenberechnung an die große Glocke hängen wird. Und am Abend kann er dann Trixi damit konfrontieren, dass er ganz nebenbei den Brief auf den Tisch legt, an dessen Existenz sie nicht glaubt. Aber versehen mit demselben Briefkopf, der über dem Beginn all seiner Schwierigkeiten geprangt hat, klebt hinter der Glastür ein Zettel: Betriebsausflug.
»So schön es war in Paris – auf die Dauer füllte mich das Leben dort nicht aus«, sagt Schach am Abend und leert sein Apfelschnapsglas, »dafür habe ich zuviel von der Welt gesehen und erfahren durch die Legion – vor allem über mich selbst: Gelernt, wer ich bin und wer nicht. Somit stellte sich die Frage, wo sich eine echte Perspektive öffnet.«
»Und die erkennen Sie hier?« Walter sieht ihn besorgt an. Auch Trixis Augen sind auf den Mann im Sessel zwischen ihnen gerichtet. Eine auffällig dicke Ader verläuft über seinen muskulösen Arm, den das T-Shirt nur ansatzweise verdeckt.
»Möglich«, antwortet Schach. Er blickt zu Trixi hinüber. »Wie kommen Sie denn voran? Es hat mir gefallen bei Ihnen. Da geht es um was, das ist faszinierend. Großartig muss das sein, wenn man weiß: Ich allein stelle etwas in die Welt, das es bis dahin nicht gegeben hat. Dann aber ist es da, und niemand kann einfach daran vorbei, ohne es zu bemerken, und wenn er die Augen davor zumacht, weil er nicht hingucken will, stößt er sich den Kopf.«
Klirren und Klappern dringt aus der Küche, wo Walter eine neue Flasche Wasser öffnet. Er ist während Schachs langer Ausführungen hinübergegangen. Jetzt schenkt er nach und sagt: »So schnell geht das nicht, Herr Schach. Die Stoffe, denen sich meine Frau zuwendet …«
»Die Redakteure finden ebenso wenig daran wie du – wolltest du das sagen?«, lacht Trixi. »Man braucht etwas Zähigkeit, das ist alles. Ich kann mir vorstellen, Sie kennen das.«
Das Telefon klingelt. Trixi geht hin, gibt ihrem Mann dann den Apparat: »Mirko.« Walter verlässt das Zimmer. Wenig später kommt er zurück, winkt ab und meint, man vermisse im Büro eine Akte, das sei alles.
Sie wundert sich, dass Zabel deswegen so spät bei ihnen anruft. Wieso wendet er sich nicht an die Sekretärin?
Wahrscheinlich fehle da ein sehr wichtiges Dossier, mischt Schach sich ein – das erste, was einem bei der Legion vermittelt werde, sei Systematik. Er könne immer
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