Alles Zirkus
Walter dreht sich unter der Dusche und lässt das Wasser auf sich niederprasseln. Dieses angebliche Gästezimmer ist in Wahrheit nur dazu da, den Traum dort wohnen zu lassen, dass sie irgendwann wieder mit anderen zusammensein werden, so ähnlich wie früher. Und jetzt wird es von einem unsympathischen Soldaten verdreckt. Sie muss sich tatsächlich manchmal fragen, was in seinem Kopf los ist. Nachdem er seine Gedanken soweit aufgeräumt hat, sieht er, dass Trixi eigentlich ja gar kein Schaden zugefügt worden ist: Am Abend hat sie von Schach nichts mitbekommen, weil sie selbst unterwegs war, und noch vor dem Frühstück wird er fortgeschickt. Ihr Leben wird noch nicht einmal von einer kleinen Unterbrechung gestört. Alles wie immer.
Als Walter frisch gekleidet und rasiert, eine Ecke Toilettenpapier auf der Wange, zum Lüften die Küche ansteuert, ehe er an die Tür des Gasts klopfen wird, um ihn aufzufordern, sich schnell fertigzumachen, wundert er sich über den intensiven Rauchgeruch, der ihm schon im Flur entgegenströmt. Dann hört er Stimmen.
»Ich mache Ihnen aber gerne auch Tee.«
Walter öffnet die Tür. Trixi und René Schach sitzen sich am Küchentisch gegenüber. Sie trinken Espresso, über ihren Fingern kräuseln sich die Qualmbänder ihrer Zigaretten.
»Nur weg von zu Hause, vom Kalender, raus aus der eigenen Haut, habe ich damals gedacht«, mit diesen Wörtern quillt dem Mann der Rauch aus dem Mund, er trinkt von seinem Kaffee, bevor er weiterspricht: »Im Dschungel, dachte ich, kann ich mein altes Leben hinter mir lassen. Ist mir natürlich nicht gelungen. Der ganze Schlamassel konnte mich da erst richtig scharf befragen: Wer bist du überhaupt? Was bleibt übrig von dir, wenn alles Brimborium wegfällt? Die Legion hat mich unbarmherzig auf den Kern meines Wesens reduziert – nicht immer angenehm, kann ich Ihnen versichern, Frau Tomm, aber sehr lehrreich.«
»Meine Frau heißt Ghedina!«, sagt Walter.
Statt zu schlafen oder Frühstück zu machen und das Fleisch für den Kater aufzuschneiden, sitzt Trixi mit einem Fremden am Küchentisch herum, trinkt Espresso, plaudert und raucht. Gerade hat sich dieser Mann da erhoben und lässt das ausgelaugte braune Pulver im Mülleimer verschwinden, füllt Kaffee und Wasser nach und postiert die kleine Aluminiumkanne erneut auf dem Herd. »Espresso?«, fragt er mit Blick auf Tomm.
Der antwortet leise »Nein danke«.
Bevor Bob anfängt zu quengeln, sucht Walter im Kühlschrank und holt dann mit ungeübten Fingern einen tiefbraunen Lappen Rinderleber aus einem verknoteten Plastikbeutel, lautes Schnurren hebt irgendwo an. Wieso streicht der Kater ihm nicht um die Beine, wie er es mit Trixi bei dieser Gelegenheit immer macht? Walter dreht sich um. Bob hat sich auf den Stuhl gesetzt, von dem Schach aufgestanden ist, und verfolgt von dort das ungewohnt lebendige Geschehen dieses Morgens. Walter stellt den Teller mit der zerkleinerten Leber neben den Wassernapf, dann geht er ins Bad, um mit der Bürste und viel Seife gründlich seine Hände zu waschen.
Als er wieder in die Küche kommt, hat Bob fast alles aufgegessen. Trixi sitzt weiter rauchend am Tisch, der Soldat spült Tassen und Löffel unter fließendem Wasser und greift dann zum Geschirrtuch, um alles abzutrocknen, bevor er es wieder hinstellt und aus der inzwischen frisch dampfenden Kanne neu befüllt. Walter sieht nicht weiter hin, er bereitet die Maschine vor, um seinen eigenen Kaffee aufzubrühen. Das hat mit Sorgfalt zu geschehen. Der Morgenkaffee ist für ihn mehr als nur irgendein Getränk – ein rituell zu durchschreitendes Tor in den Tag ist das. Was für ein Tag, fängt so ein Tag an?
»Sonst noch jemand Frühstück?«, fragt er betont, auch wenn Trixi und der Fremde unverkennbar mit dem zufrieden sind, was sie vor sich stehen haben. Er denkt gar nicht daran, sich auch nur eine Spur von Irritation anmerken zu lassen, und setzt sich mit seinem Tablett – Kaffee, Toast, Schlehenkonfitüre – an den Tisch. Irgendwann geht Trixi aus der Küche, endlich die Gelegenheit, auf die er die ganze Zeit wartet. Er schiebt Schach den Fünfzigeuroschein unter die Tasse und sagt: »Wir sind spät dran. Haben Sie schon die Tasche gepackt? Ich werde Sie gleich mitnehmen.«
Überraschenderweise kommt Trixi nicht zurück. Man hört sie nach einiger Zeit im Flur, aber sie setzt sich ins Nebenzimmer. Walter gibt Schach mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass er nichts wegzuräumen braucht, sondern bloß
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