Alles Zirkus
sich allergrößte Mühe gibt, niemandem, auch nicht Walter, zur Last zu fallen. Sie nimmt sich noch Kaffee, setzt sich vor den Laptop und zieht den Rolltisch mit dem Drucker heran, um eine E-Mail von Bruno Gerber auszudrucken, der ihr mitteilt, einer seiner Filme solle einen Preis erhalten. Dass sich dadurch seine Sicht auf die Welt etwas aufhellen wird, steht nicht zu erwarten.
Pessimisten sind in Wahrheit rücksichtslose Optimisten, ist Trixi schon vor längerer Zeit aufgefallen, und zwar nicht nur an Beispielen wie Gerber und Walter. Unerschütterlich ist einer wie der andere davon überzeugt, dass er einfach immer weiter schwarzmalen darf, weil andere ihn schon an jenes sichere Ufer ziehen werden, dessen Existenz er so lustvoll leugnet. Sie nippt am kalten Kaffee und notiert, später beim Einkaufen frisches Tatar für Bob zu holen. Im Fernsehen gibt es einen Werbespot: Verzückt löffelt eine junge Frau ihrer Perserkatze die Mahlzeit aus der Dose auf den Teller und tut so, als würde sie am liebsten erst einmal selbst kräftig zulangen. Mit Mühe beherrscht sie sich und setzt die braune Pampe, gekrönt mit einem Petersilienzweig, der Katze vor. So sieht der Inhalt von Walters Berufsleben aus? Er erinnert sie an die traurig gerupfte, abgeknickte Lärche in ihrem Heimatort, oben beim Schloss, zu der man von der Stadtgasse aus hinaufblickte. Einsam und derangiert, mit verdrehtem Wipfel hielt sie sich so eben noch aufrecht dort am Hang, neben dem es steil in die Tiefe ging.
Der Ausnahmezustand im Hof scheint beendet: Kupkas Handwerker sind wieder eingetrudelt und zur Pause versammelt. An ihrer Gewohnheit, bei offenen Türen im Lastwagen zu sitzen und viel zu laut das Radio spielen zu lassen, hat sich allen Bitten zum Trotz nichts geändert. Die Mauern wirken als Schalltrichter, der alles nach oben hin verstärkt. Ist sie im Arbeitsrausch und drängen die Einfälle sich geradezu auf, gelingt es ihr manchmal, den Krach zu ignorieren. Muss sie die Gedanken mühsam Splitter um Splitter zusammentragen, geht ihr das Gedudel auf die Nerven. Pianisten, die nur aufführen, was andere sich ausgedacht haben, beenden bei der kleinsten Störung ihren Vortrag, die Neuproduktion von Einfällen aber – verdiente die nicht auch irgendeinen Schutz? Das Autoradio spült ein paar Gitarrentöne und die inbrünstige Stimme einer Sängerin zu Trixi hoch. Unwillkürlich legt sich ihr der pappige Geschmack nach nichts auf die Zunge, der sie als Mädchen in Tirol ständig begleitete. Das Aroma einer Leere, der sie Tag um Tag zu entrinnen versuchte: all die verzweifelten Zusammenkünfte mit ihren langweiligen Freundinnen und Freunden. Niemand hatte etwas davon, aber es war keine andere Möglichkeit zu finden gewesen, als miteinander dummes Zeug zu reden und auf der Gitarre herumzuzupfen, wie es eben so ist, wenn der Betrug der Kindheit platzt und man versteht, dass die zugige Pracht der Berge wenig für einen bereithält.
Es ist, als wäre seitdem nur eine Stunde verflossen. Wirklicher als das, was vom Hof heraufdröhnt, hört sie noch den Klang ihrer energischen Hände durch die Stadtgasse ziehen. Schlag um Schlag verhallt, ohne die geringste Wirkung, ohne irgendetwas zu ändern zwischen den Bergen. Wie seit Jahrhunderten wurde das Vieh auf dem Markt zusammengetrieben, Leid in den aufgerissenen Augen. Die Furcht dieser Blicke und das aufschneiderische Geschnauze derer, die als Zeugen der Unabänderlichkeit mit verwegenen Hüten auf dem Kopf vor dem Gatter standen und Schnapsgläser leerten – so etwas muss sich doch einschreiben in die Luft, in Straßen, Häuser und Bäume. Aber es ändert sich nichts als die Technik und die Fahne, die darüber weht. Das Bild dieser Unberührtheit ist das, was ihr blieb. Außer ein paar Fotos aus der Balgenkamera ihres Vaters. Und der Klang verzweifelt ein, zweimal zusammenklatschender Mädchenhände als Maß der Dauer unserer großartigen Stippvisite auf Erden.
Zéro
»Effekt-Kostüme für Artisten! Auch im Outfit professionell alles aus sich herausholen!«
»Clowns aufgepasst: Brandneue Spitzenrequisiten eingetroffen – ganz frische Messeware für die kommende Saison! Ein Angebot, das sich an wenige Ausgesuchte richtet, da nur geringe Vorräte am Lager befindlich. Unser aktueller Tipp: Unbedingt Katalog sichten!«
An seinem gläsernen Tisch im Büro sieht Walter Tomm fassungslos zum Bildschirm hinüber. Vom Flur dringt Lärm herein. Er hört die Sekretärin aufkreischen, und dann lässt
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