Alles Zirkus
geschwächt genug, es ihr gleichzutun. Nun kann der Bursche allerdings wirklich ausziehen. An diesem Morgen sind sie zusammen im Auto zur Arbeit gefahren. Nachdem sie die Agentur betreten hatten, verschwand der Legionär sofort in die Küche. Sandra rief ihm hinterher, sie wolle auch einen Kaffee, und Walter war nur froh, als er die Tür hinter sich schließen konnte. Kurz darauf rief Cora an und fragte, ob sie mit ihm rasch über ein paar Ideen sprechen könne.
Eine Rolle unter dem Arm, kommt sie jetzt in Walters Büro, vom Flur schwappt die sächsische Stimme des Soldaten mit herein, der mit Tondorf übers Radfahren fachsimpelt: »Wer außer Täve Schur hat denn Vergleichbares erreicht, Rüdiger, wenn du ehrlich bist: Nicht bloß Straßenrad-Weltmeister, Friedensfahrt-Gewinner, sondern Volkskammerabgeordneter – und dann auch noch im BRD -Bundestag. Phänomenal!«
»Erzähl das Maurer mit seinem Rennrad«, meint Tondorf. Walter hält sich die Ohren zu, bis Cora die Tür hinter sich geschlossen hat.
»Was redet denn der neue Mitarbeiter da?«, sagt sie und registriert, wie blass Walter aussieht. »Kannst du dir vorstellen, was Mirko sich davon verspricht?«
»Muss er dir selber erklären, keine Ahnung.«
»Ich denke, der logiert sogar bei euch.«
»Frag mich nicht warum«, murmelt Walter und langt nach der Rolle mit den Entwürfen in ihrem Arm. Das Papier duftet leicht nach Maiglöckchen. »Gutes Parfum benutzt du«, sagt er und vertieft sich in die Blätter. Nach einiger Zeit möchte er Bava hinzuziehen und greift zum Telefon.
Der nimmt nicht ab, also sucht Cora ihn. René Schach hat sich auf die Ecke von Sandras Arbeitstheke gesetzt und hält einen Kugelschreiber zwischen den Fingerspitzen, mit dem er in die Luft schreibt, dazu liest er laut mit: »…ganz einfach: Dossiers Abteilung Rot, Unterabteilungen Rot-Blau, Rot-Gelb, Rot-Grün …«
Bava steht neben dem Kühlschrank im Konferenzraum und hält ein mit Eiswürfeln gefülltes Taschentuch an seine Stirn, wie immer, wenn er Kopfschmerzen hat, und dann ist ihm egal, dass Wasser über sein Gesicht läuft und sein Hemd nass macht. Ganz in seiner Nähe sitzt Mirko, zwei Stühle weiter Edgar Maurer. Aller Blicke sind an den Bildschirm eines Laptops geheftet, auf dem Edgar demonstriert, wie er sich die Umsetzung von Mirkos Idee mit den Kahlköpfen als Reklame für ein Shampoo vorstellt.
» Zéro «, schwärmt Zabel. »Bau das aus für nachher.«
Von der Tür her gibt Cora Osvaldo ein Zeichen, dass er sich danach bei Walter melden soll. Er nickt. Sie verschwindet wieder und nimmt für sie beide Kaffee mit zu Walter hinein. Sie klären noch ein paar Einzelheiten, warten in erster Linie aber auf Osvaldo, von dem man annehmen darf, dass er die Kosten einigermaßen abschätzen kann, die auf die Agentur zukommen, wenn sie den stillgelegten Bonner Regierungstunnel in der Eifel öffnen und für Dreharbeiten und Fotos so herrichten lassen, wie Coras Skizzen es vorsehen. Bleibt das überschaubar, wird es schwer für andere, dort den Hebel gegen diese ganze Richtung anzusetzen, um sie erst zu erledigen und dann auszuweiden. Übrigens, und Walter findet das intelligent, schlägt Cora vor, auch diesmal wieder neben Zeitschriftenanzeigen auf eine Folge von Fernsehspots zu setzen – auf ein Medium, das weniger Begabte dank Internet, Facebook und Twitter voreilig der Vergangenheit zurechnen.
Plötzlich dringt lautes Geschrei aus dem Flur. Dann fliegt die Tür auf, und Mirko stampft herein: »Wer hat diesen Lump reingelassen?«, brüllt er mit Schweißperlen auf dem Schädel. »Lässt erst die Akte verschwinden – frag mich nicht wie – und behauptet dann, er räume hier auf. Kampagnenspionage, darum geht’s!«
Schach hat sich hinter Zabel aufgerichtet: »An Ihrer Stelle wäre ich vorsichtiger. Was wollen Sie überhaupt? Jeder bei der Legion hat diesen Kahlschlag, genau wie auf den Fotos dort. Und der heißt nun mal Boule à zéro . Das ist Fakt. Wenn Sie hier hinter dem Mond leben, ist das Ihr Problem.«
»Stiehlt mir den Einfall, um ihn irgendwo zu verscherbeln, und glaubt, das fällt nicht weiter auf, da gehen wir großzügig drüber hinweg, wenn er reichlich Mist erzählt vom Söldnerdasein, oder was weiß ich. Schafft ihn raus, ich kann ihn nicht mehr sehen! Und dir, Walter, rate ich, uns ja keinen weiteren Maulwurf in den Bau zu setzen.«
Ohne Hast und einen Anflug von Erregung angelt Schach seine Jacke vom Haken, verstaut Tabak samt Hanfpapier im
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