Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles Zirkus

Alles Zirkus

Titel: Alles Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Brandt
Vom Netzwerk:
Benommenheit. Hinter der Gasthaustür schlägt ihm der Duft des Bieres entgegen. Er bestellt ein großes Glas. Überall riechen die Kneipen anders: in Paris, in Kourou, in Kiel. Die Töpfchen mit den Zahnstochern auf der karierten Decke seines Tischs sind kleinen Leuchttürmen nachgebildet, die über die schwarzumrandeten Brandlöcher aus der Zeit wachen, als noch geraucht werden durfte. Er erkundigt sich bei der Kellnerin, was sie rasch bringen kann, aber sie behauptet, bei ihnen gehe es grundsätzlich flott. Sein drittes Bier hat er trotzdem schon hinter sich, als sie endlich mit dem Schnitzel kommt.
    Die Tasche in der einen und den Campingbeutel in der anderen Hand, braucht er am nächsten Morgen nicht lange zu suchen – das Klinkergebäude direkt am Kai. In wenigen Stunden läuft der Dampfer aus. Die nötigen Unterlagen hat er dabei, auch ein Gesundheitszeugnis. Er wird in die Musterrolle eingetragen und angewiesen, sich beim Purser zu melden. Schach kennt sich aus damit, einen Haufen schnarchende, strenge Aromen verbreitende Männer um sich zu ertragen. Angenehm war es ihm nie, aber aushalten kann er das. Hier ist das Bettzeug sauber, den kleinen Spind kann er abschließen, und mit wem er das Zimmer teilt, wird sich erst später erweisen, weil alle anderen schon an der Arbeit sind. Seit einiger Zeit wird der Strom aus Motorfahrzeugen jeglicher Art und Größe in den Leib des dicken Schiffs gelenkt, und die Passagiere, die aus ihm heraufsteigen, füllen nach und nach Gänge, Decks und Restaurants. Andere kommen zu Fuß über eine Gangway. Ein leises Zittern kündigt an, dass man kurz davorsteht auszulaufen: Die MS Bacchus scheint zu leben. René Schach probiert in der Kleiderkammer Schuhe, schwarze Hosen und eine Kellnerjacke an, bekommt auch schwarze Strümpfe, ein paar weiße Hemden und eine Fliege in der Farbe der Reederei an einem Gummiband.
    Er fühlt sich deplaziert an Bord, sein Jäckchen mit der blauen Schleife um den Hals ist der reine Hohn, das Hemd unangenehm, aus synthetischem Stoff geschneidert, der ihn schwitzen lässt. Schach lehnt mit dem Rücken an der Wand, vor ihm in langer Reihe die im Boden verankerten Barhocker, auf einigen sitzen Gäste. Mit Angst in den Augen trat man ihm gegenüber, weil seine Waffe keine Platzpatronen verstreute – dann hat er die Lippen aufeinandergepresst und den Rückzug angetreten. Den Gefühlscocktail in Gegenwart dieser Frau, vor der er die Flucht ergriff, versteht er noch immer nicht.
    Die Tische der Bar-Lounge mit den dunkelblau schillernden Polstermöbeln drumherum sind mit den unterschiedlichsten Gläsern bestückt. Die Sessel werden von Passagieren in Anspruch genommen, denen nicht bereits das leise Rollen und Wiegen des Schiffs so zusetzt, dass sie sich verkriechen – wobei jene, die einen Kabinenplatz gemietet haben, ihre Übelkeit wenigstens nicht öffentlich vorzuführen brauchen und, wenn es denn soweit ist, zumindest keine langen Wege bis zur Toilette vor sich haben.
    Was sich in ihm abspielt, hat mit den Wogen nichts zu tun. Schach steht in seiner weißen Tuchjacke, zieht die Lippen zum Strich und klimpert mit den Fingerspitzen im Wechselgeld, das seine rechte Tasche füllt, zum Rhythmus skandinavischer Popmusik, die ihm missfällt. Das Schiff schaukelt inzwischen nicht schlecht, obschon sich unter Wasser alle dafür vorgesehenen Einrichtungen massiv gegen die Kräfte des tobenden Ozeans stemmen. Tisch 9 will zahlen. Eine dürre junge Frau hat ihren südseeblauen Cocktail nicht einmal zur Hälfte geleert, und nun sitzt sie mit verzweifelten Augen schweigend und bleich neben ihrem Mann, der bedrückt in sein leeres Bierglas starrt und offenbar lieber noch einige Zeit weitertrinken würde.
    Weder Tomm noch sein Chef oder sonst jemand wusste, dass es ganz allein sein Entschluss war, still und leise abzuziehen, statt den Laden auseinanderzunehmen. Die Beleidigung zu schlucken, weil so etwas nicht zählt, wenn es um etwas anderes geht. Sich wegzuducken ist ihm nur wegen der Kleinen am Empfang schwergefallen. Bei ihr war er kurz vorm Schuss.
    Er hat nicht die Gewohnheit, sein Schicksal umständlich zu untersuchen. Die Lounge ist unterdessen nur noch zu einem Drittel besetzt. Und Schach überlegt, was aus Trixis Film werden wird. Irgendwie schafft sie es schon, glaubt er, aber ob er es dann mitbekommt? Wohl kaum. Wer weiß, wohin es ihn verschlägt. Und ob er jemals wieder irgendetwas von ihr wahrnehmen darf. Kurz vor Mitternacht stellt Charlie, der

Weitere Kostenlose Bücher