Alles Zirkus
Sessel, um gleich darauf in die Hocke zu gehen. Er hat jetzt sein Jackett verkehrt herum an, mit der offenen Knopfleiste auf dem Rücken, und watschelt mit gebeugten Knien durchs Zimmer.
»Der große Giocondo erklärt euch jetzt den Farbensatz, Leute«, flüstert er, »pssst! Pssssst!«, und legt den Finger an seine gespitzten Lippen. Durch den Spalt unter der Tür zieht es herein. Vor sich hat er das grüne Firmenschild auf dem silber glänzenden Tischbein. Die waffelartige Struktur des Spannteppichs tanzt. Rauten zieren die Socken des Professors, sein braun glänzender Pferdelederschuh knirscht, während der rechte Fuß auf und ab wippt. Bewegen sich die Streifen an der Wand? Auf der Ablage des Zeichenbords trocknet knisternd der Filzstift aus, weil die Kappe daneben liegt.
Walter hat die Lippen noch immer gespitzt, aber mehr will ihm nicht einfallen. Und dann stürzt er in sich zusammen. Ein Lachen bricht aus seiner Brust, das sich nicht mehr beherrschen lässt. Er reißt den Mund auf und brüllt vor Lachen, als läge er auf der Folterbank. Nicht auszuhalten. Er kommt aus dem Lachen nicht mehr heraus.
Maier steht ratlos neben dem Zeichenbord. Ist der Mann hier in seinem Zimmer verrückt? Vielleicht nimmt er Kokain oder Psychopillen. Er hat ihm ein professionelles Kommunikationskonzept versprochen. Der Institutsdirektor versucht, die Gedanken zu ordnen: Erst einmal gilt es, Herrn Tomm so schnell wie möglich zu verabschieden.
Und dann muss man die ganze Sache neu durchdenken. Schon zu viel Staub ist um die bevorstehende Sensation aufgewirbelt worden, irgendetwas muss er sich da einfallen lassen. Vielleicht können Namura und Haraldsen alleine eine neue Art der Präsentation ihrer Beweisführung hinbekommen? Im Vordergrund der ganzen Angelegenheit steht natürlich die Seriosität.
»Interessant, das ließe sich noch weiter ausarbeiten. Ich würde sagen, ich lasse demnächst wieder von mir hören.« Der Mathematiker bemüht sich um äußerste Sachlichkeit und senkt zum Abschied den Blick in seine Unterlagen: »Wir melden uns, sobald der Institutsrat den Beschluss gefasst hat, in welcher Form die Feierlichkeiten gestaltet werden.«
Walter ist aufgestanden, hat sein Jackett in der Hand. Er öffnet die Tür und geht ohne sich umzudrehen aus Maiers Zimmer. Im Flur kommt die Sekretärin hinter ihm her und drückt die Kopie des Briefs in seine Hand.
Wenigstens ist Trixi noch nicht zu Hause. Er zieht sich trockene Kleider an. Draußen regnet es nicht mehr. Walter ist nicht mehr sicher, was eigentlich vorgefallen ist. Gott sei Dank besitzt er den Brief, den er an Maiers Stelle auch selbst unterschreiben kann. Nur nicht gerade jetzt, dazu ist seine Hand nicht ruhig genug. Er legt ihn in seinen Schreibtisch, damit er ihn bestimmt wiederfindet. Jetzt kann er nicht einfach so dasitzen, also verlässt er die Wohnung noch einmal. Da ist so viel, was sie zu bereden hätten, überlegt er, während er durch die dunklen Straßen zieht und sich nach dem Duft ihrer Haut sehnt. Verlässlichkeit? Eine Kette, die hält, ist schlecht geschmiedet. Auf Flexibilität kommt es an und auf Sollbruchstellen. Auf die Lücken, die Schwächen. Darüber muss man lachen, statt ein Drama daraus zu machen. Aber jetzt liegt der Brief in seiner Schublade. Und nach allem, was er an diesem Tag durchgemacht hat – vielleicht werden sie heute endlich miteinander reden können.
Cocktails
Wie ein leuchtendes Hochhaus ragt das Schiff hinter den Schatten der Kieler Innenstadt in den finsteren Himmel. René Schach tritt aus der Bahnhofshalle. Die ganze Zeit aus dem Zugfenster starrend, hat er kaum wahrgenommen, wie draußen langsam die Dunkelheit aufzog. Dämmerung – immerhin ein Vorzug gegenüber dem Dschungel, Übergänge, ob man sie nun bemerkt oder nicht. Er hatte genug mit dem Erlebnis zu tun, das hinter ihm liegt: Trixi Ghedina. Auf derlei ist er nicht vorbereitet gewesen – nicht auf diese Frau, nicht auf das angenehme Gefühl eigener Unterlegenheit. Und dann hat er begriffen, dass er dabei war, sich zu verlieben, schmachtend wie ein Schuljunge. Und so hat er sich von Zabel abkanzeln lassen, die Zähne zusammengebissen und gemacht, dass er weiterkam.
Irgendwann, noch in Paris, ist ihm zugeflogen, dass die Skandinavienfähren immer Leute suchen. Schach nimmt sich ein Zimmer, stellt sein Gepäck ab und zieht noch einmal los, um irgendwo etwas zu essen, und dann will er früh ins Bett. Scharfer Wind bläst um die Ecken und schneidet in seine
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