Alles Zirkus
präsentieren wollen, den ganzen Abend über hat er sich schon auf Trixis Eingeständnis gefreut, ihr Leben wieder einmal mit sinnlosem Argwohn belastet zu haben – und in diesem Fall so penetrant, dass sie ihn – mitten in der alle Kraft beanspruchenden Wirtschaftskrise – völlig durcheinanderbrachte. Wenn ihm dann kleine Fehler unterlaufen sind, hat Trixi das als Einladung zu neuem Misstrauen verstanden. Der Brief, dessen Existenz sie leugnet, liegt noch immer in seiner Schublade. Denn sie ist nicht nach Hause gekommen. Walter lässt heißes Wasser ins Becken und gibt zuviel Spülmittel hinein. Er säubert das Geschirr vom Frühstück zusammen mit dem, was er am Abend gebraucht hat. Auch Bobs Teller. Dann gießt er sich ein großes Glas Milch ein. Möglicherweise ist alles nur Einbildung? Trixi liegt vielleicht schlafend im Bett, in das auch er nur zurückzugehen braucht, wenn mithilfe der Milch und des Abwaschs wieder Ruhe in ihm eingekehrt ist. Oder er selbst befindet sich überhaupt in Grunewald, in der Teplitzer Straße, die ganze Zeit schlafend, und wenn er am Morgen erwacht, stellt er erleichtert fest, dass sein Leben erst noch vor ihm liegt, bevor ihn die kalte Gewissheit gleich neu in den Schwitzkasten nimmt, für die Lateinarbeit dieses Vormittags nicht die Spur vorbereitet zu sein. Schon hat sich in ihm der Sinn für derlei Träume verloren. Das Kind existiert nicht mehr. Nicht vor dem Beginn steht er, ganz am Anfang – das Ende zeichnet sich längst immer facettenreicher ab im Nebel, durch den er Jahr um Jahr gehastet ist, ohne dabei voranzukommen. Er würde viel darum geben, jetzt Trixis Haut zu berühren.
Als Walter zurück ins Bett steigt, ist es natürlich so leer wie zuvor, bloß Bob ist vorgegangen und liegt schon dort.
»Was ist nur los, mein Junge?«, fragt er den Kater, löscht das Licht und streckt die Hand nach dem Tier aus, das es sich gefallen lässt. Walters Augen starren in die Dunkelheit. Wieso ist er für niemand verlässlich, nicht einmal für sich selbst? Er kann sich auch nichts von dem abnehmen, was er zu sein vorgibt: den kreativen Kopf der Werbeagentur nicht und nicht den Clown, weder Trixis Mann noch sonst irgendwen oder irgendwas. Da er nicht daneben steht, sondern mittendrin, gewahrt er den Übergang nicht, der dazu führt, dass er nach einiger Zeit nicht nur halb, sondern vollständig eingeschlafen ist. Eine Stunde später ist er hellwach, und augenblicklich erfasst er die Lage: Trixi ist fort. Die Stelle, an der Bob neben ihm auf ihrer Decke gelegen hat, ist leer, nur eine kleine Vertiefung beweist, dass es ihn gibt. Nichts ist eingebildet. Er will ins Bad gehen, da zeigt sich der Kater mit dem Verlangen, auch schon zu dieser Stunde sein Fleisch serviert zu bekommen. Normalerweise erledigt Trixi das am Morgen nebenher, wenn sie Kaffee macht, Tee aufschüttet und den Tisch fürs Frühstück deckt. Jetzt ist es noch dunkel, mitten in der Nacht, aber Bob quengelt. Walter kann ihm nicht erklären, was los ist.
Er stellt die Kaffeemaschine an und nimmt das Herz aus dem Kühlschrank, das für den Kater bestimmt scheint. Der eigentümliche Muskel ist bereits leicht angegraut. Zähe Adern münden in ausgehöhltem Gewebe, innen hat es eine andere Oberfläche als außen. Mit gelblichem Fett durchwachsen, sieht das Fleisch aus wie ein rundgeschliffener roter Marmorbrocken. Es verströmt einen unangenehmen Geruch, und nachdem Walter mit dem Messer hineingestochen, einen Lappen abgeschnitten und in kleine Bissen zerteilt hat, rührt Bob nichts davon an. Walter kann ihn verstehen. Er schmeißt das Herz in den Mülleimer, stellt fürs erste Trockenfutter in einem Napf bereit, und daneben sauberes Wasser. Dann kann Bob sich entscheiden, ob er warten will, er braucht jedenfalls nicht zu hungern, bis etwas anderes im Haus ist. Und der Nebel über der Zukunft sich spaltet und sichtbar werden lässt, wie es überhaupt weitergehen soll. Walter ertappt sich, dass er zum Himmel betet, Trixi möge ihn nicht wieder verlassen haben.
Um keinen Präzedenzfall zu schaffen, rührt Bob die harten Brocken nicht an, sondern streicht weiter um seine Pyjamabeine. Wie aufgezogen trinkt Walter in regelmäßiger Abfolge aus seiner Tasse. Trixis Verschwundensein erscheint ihm unwirklich. Gleichzeitig ist es ihm aber auch, als sei er sogar daran gewöhnt. Diese Falltür, die plötzlich unter ihm aufgesprungen ist, kommt ihm keineswegs ganz neu vor, sondern wie eine altvertraute Schikane, die man
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