Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
für Gemüseproduktion vor. Die Region Krasnodar war einer der Hauptlieferanten von Gemüse und Obst.
Auf den ZK -Apparat und alle Sekretäre der Gebietskomitees machte die Amtsenthebung Medunows starken Eindruck. Sie wussten, dass er die Gunst des Generalsekretärs hatte, hielten ihn für unangreifbar, und auf einmal … Man konnte zusehen, wie Andropows Autorität wuchs.
Wenn man die Schritte Andropows genauer betrachtet, wird offenbar, dass sie nur einen einmaligen und eher demonstrativen Charakter hatten. Die Atmosphäre der Stagnation hatte sich zu jener Zeit so verdichtet, dass seine Maßnahmen nur die Wirkung eines frischen Lüftchens hatten. Die Widersprüche, die sich während der Jahre unter Breschnew angehäuft hatten, waren so tief, dass man sie mit Einzelmaßnahmen nicht aus dem Weg räumen konnte.
Da der Generalsekretär nicht mehr in der Lage war, die Initiative zu ergreifen, wurde sie auch von anderen Politbüromitgliedern nicht eingefordert, damit Breschnews begrenzte Möglichkeiten nicht so sehr ins Auge fielen. So war es ihm zum Beispiel kräftemäßig nicht möglich, wie früher Reisen durch das Land zu unternehmen. Also reduzierten auch die anderen ihre Reisen an die Brennpunkte, selbst wenn die Sachlage es erforderte.
Breschnews Truppe war auch mit einer anderen Aufgabe ständig beschäftigt: die Vortäuschung einer aktiven kreativen und organisatorischen Aktivität des Generalsekretärs. Und da er selbst keine neuen Ideen entwickeln, zu Papier bringen oder vortragen konnte, taten das in seinem Namen Beauftragte, Helfer oder Konsultanten. Sie verfassten ständig irgendwelche Referate und Schreiben, schickten Briefe und Telegramme. Jeder (natürlich »historische«) Auftritt musste ein breites Echo haben. Alle Abteilungen des ZK saßen grübelnd über der Erfindung solcher »Reaktionen«, die die »Resonanz« des ganzen Volkes und der ganzen Welt vor Auge führten.
Übrigens führte die Kenntnis dieses Mechanismus manchmal auch zu vernünftigen Entscheidungen. Da der Breschnew-Truppe die Ideen ausgingen, griff sie manchmal, wenn bei ihr ein Schreiben einging, das die Frage und Lösung des einen oder anderen großen Problems durch den Generalsekretär anschnitt, diese Möglichkeit auf.
Ich sagte schon, dass die »Stabilität« des kranken Generalsekretärs vielen Mitgliedern der Führung ins Konzept passte, de facto herrschten sie selbstherrlich in ihren Regionen und Ämtern. An dieser Stabilität war auch der Breschnew-Truppe gelegen, ihr Wohlergehen hing damit ja ebenfalls zusammen. Alle wussten, dass es bei einem Wechsel des Generalsekretärs zu Personalveränderungen kommen würde.
In dieser Situation verlagerten sich die Fäden der Macht und Leitung immer mehr in den bürokratischen Apparat, eine Verschiebung, die fatale Konsequenzen hatte. Sie vernichtete nicht nur die Reste innerparteilicher Demokratie, sondern öffnete auch einem bürokratischen Intrigenspiel die Tür, das mitunter ausschlaggebend für politische und besonders Personalentscheidungen war.
In dieser Phase hatte vieles, was als Meinung oder Position des Generalsekretärs galt, nichts mehr mit ihm zu tun. Es handelte sich dabei nur um die Positionen des einen oder anderen Grüppchens, das ihn in diesem Moment vor seinen Karren hatte spannen können.
In Breschnews letzten Jahren war das Politbüro in einem unvorstellbaren Zustand. Um Breschnew nicht zu sehr zu belasten, dauerten einige Sitzungen nicht länger als 15 bis 20 Minuten. Es ging also mehr Zeit verloren, um sich zu versammeln, als für die Besprechung. Tschernenko verabredete vorher mit uns, dass wir sofort nach der Vorstellung der einen oder anderen Frage nickten: »Alles klar!« Die Eingeladenen hatten kaum die Schwelle übertreten, da konnten sie schon wieder umdrehen. Damit war das Problem im Politbüro behandelt.
Wenn ein wirklich großes Problem des Landes zur Diskussion stand, richtete sich die ganze Hoffnung auf die Regierung. Doch auch da ging es äußerst selten um die Sache, sondern hieß gebetsmühlenartig: »Die Genossen haben gearbeitet, der Meinungsaustausch ist abgeschlossen, die Fachleute haben sich geäußert, gibt es Fragen?« Von wegen Fragen! Wer sich »einzuschalten«, eine Frage zu stellen traute, fing sich den schiefen Blick Tschernenkos ein.
Selbst wenn es Breschnew besser ging, konnte er nur schwer der Diskussion folgen und Schlüsse ziehen. Deshalb ergriff er gewöhnlich bei großen Fragen als Erster das Wort und las einen
Weitere Kostenlose Bücher