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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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Situation entstanden war, in der ein Machtvakuum drohte. Offenbar hatte Andropow beschlossen, Schritte zu unternehmen, die die Autorität der Macht im Zentrum heben und allen zeigen sollten, dass sich die Führung trotz Breschnews Schwäche in festen Händen befand und gegen zufällige Einflüsse gewappnet war. Das galt natürlich vor allem den Politbüromitgliedern.
    Im selben Kontext sehe ich Andropows spontanen Auftrag vom Sommer 1982 , mich um die Frage zu kümmern, warum es in der Hochsaison in Moskau kein Obst und Gemüse gab. Es war eine »Feuerwehr« zur Versorgung der Hauptstadt gebildet worden, doch weigerten sich die Handelsorganisationen Moskaus mit der fadenscheinigen Begründung, es gäbe kein Vertriebsnetz für den Verkauf, um die Produkte abzunehmen. Erst nach meinem Druck auf die Behörden der Hauptstadt nahmen sie sich dieser Sache endlich an. Noch am Abend desselben Tages kam prompt Grischins Protest: »Man kann doch dem Stadtkomitee der Partei nicht so misstrauen, dass über die Gurken im Politbüro entschieden wird, und das auch noch über meinen Kopf hinweg. Ich erkläre ausdrücklich, dass mir das missfällt!«
    Ich unterbrach ihn: »Hören Sie mal, Viktor Wasiljewitsch, ich finde, Sie vergreifen sich im Ton. Sie machen aus einer praktischen Frage eine des politischen Vertrauens. Es geht darum, dass Hochsommer ist und in Moskau weder Gemüse noch Obst aufzutreiben ist. Dabei gibt es beides zur Genüge. Lassen Sie uns also darüber sprechen, wie wir dieses Problem lösen können. Ich habe nun mal den Auftrag, mich darum zu kümmern.«
    Apropos Grischin. Er hatte überaus überzogene Vorstellungen von sich und seinen Möglichkeiten. So wie viele Leute seines Schlags setzte er gegenüber »Niedrigerstehenden« eine so wichtigtuerische »Führer«-Miene auf, dass sich die Lösung irgendwelcher Fragen in eine reine Qual verwandelte. Er sperrte sich hartnäckig gegen Kritik oder Einwände, es sei denn, sie kamen vonseiten des Generalsekretärs. Auch in diesem Fall murrte er, jemand habe den Generalsekretär nicht richtig informiert, das seien nur Intrigen.
    In der »Gurkengeschichte« stellte er sich nicht quer, sondern griff schnell durch. Bald tauchten in der Stadt Tausende von Gemüseständen auf, und damit war das Problem gelöst. Durch die Moskauer Korridore ging ein Raunen: Andropow schafft ernstlich Ordnung.
    Aber diese Geschichte hat noch einen anderen Zusammenhang. In dem komplizierten, sich hinter den Kulissen abspielenden Kampf zwischen den Politbüromitgliedern wurde Grischin von einigen als wahrscheinlicher »Thronfolger« gehandelt. Entsprechende Gerüchte waren auch an die ausländische Presse gedrungen, und Andropow wusste natürlich davon. Bei seiner Bitte, in die Gemüseangelegenheiten der Hauptstadt einzugreifen, spielte auch der Wunsch eine Rolle, die Unfähigkeit des Moskauer Chefs vorzuführen, der noch nicht einmal mit den lokalen Fragen fertigwurde.
    Ungefähr zur gleichen Zeit sagte Andropow in einem seiner Gespräche so nebenbei: »Breschnew will, dass wir die Kader unter die Lupe nehmen. Ich glaube, da sind ein paar Gestalten, die sehr anrüchig sind.« Er schaute mich aufmerksam an. »Was hältst du von Medunow?«
    »Dasselbe, was ich Ihnen vor einem und vor zwei Jahren gesagt habe«, antwortete ich.
    Ins Zentrum drangen Meldungen von unübersehbaren Missständen in der Region Krasnodar. In der Kurort-Zone sollten sich Mafia-Strukturen herausgebildet haben, die eine direkte Verbindung zum Parteiapparat hätten. Ich erinnerte Andropow an meine Unterredung mit Medunow und an die Ratschläge, die ich ihm gegeben hatte: Erstens, er solle sich von Leuten, die Dreck am Stecken haben, lossagen, zweitens, er solle auf die Kader aufpassen und sie streng kontrollieren. Medunow hatte mir damals nur mit halbem Ohr zugehört. Er war bereit, sich nach Breschnews oder allenfalls Suslows und Kirilenkos Worten zu richten, sonst ließ er sich von keinem etwas sagen. Er fand, ich mischte mich in fremde Angelegenheiten ein und schmiedete irgendwelche Intrigen gegen ihn.
    Ich erzählte Andropow von dieser Unterredung und fügte hinzu: »Jurij Wladimirowitsch, Sie müssen Breschnew berichten. Man muss die Sache vorbereiten.«
    »Ich verstehe«, antwortete Andropow. »Das ist eine Partei- und Staatsangelegenheit, um die man nicht herumkommt. Aber überleg mal, was für einen Vorschlag man im Hinblick auf Medunows Versetzung machen könnte.«
    Ich schlug das Amt des stellvertretenden Ministers

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