Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
jährliche Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch damals bei nur 42 Kilo und der von Milch fast um 100 Kilo unter dem Level von 1990 .
Wozu ein Exkurs in die Vergangenheit? Jetzt, da ich dies schreibe, kann man alle Lebensmittel kaufen. Aber ihr Verbrauch ist im Vergleich zum Jahr 1990 erheblich gesunken. Wie kann das sein? Ganz einfach: Die Einkünfte werden von der Inflation aufgezehrt, die Menschen können nicht das kaufen, was sie wollen. Angucken können sie es sich. Und da behaupten die Behörden, das Lebensmittelproblem sei gelöst, als wäre nicht der reale Verbrauch von Nahrungsmitteln, sondern, was zum Verkauf ausliegt, wichtig.
Vor kurzem habe ich in der Zeitung gelesen: Nach einer Konsumenten-Umfrage machen nur 17 Prozent der Bevölkerung von Supermärkten des Typs »Siebter Kontinent« Gebrauch, die Masse ziehe es vor, auf Märkten, in Verkaufszelten, bei Ladenketten wie »Kopeke«, »Fünfer« und bestenfalls »Auchan« einzukaufen.
Andropow – Tschernenko: Tauziehen
Andropows Eintritt ins ZK als zweite Figur der Parteiführung war ein Ereignis mit weitreichenden Konsequenzen. Das Tauziehen zwischen Tschernenko und Andropow, der Konkurrenzkampf zwischen den beiden um den Einfluss auf den Generalsekretär ging weiter. Tschernenko versuchte, Breschnew zu isolieren, behauptete, nur er könne Breschnew menschlich verstehen und unterstützen, und scheute vor nichts zurück, um seine persönliche Stellung zu festigen.
Obwohl Andropow nach der Plenartagung Suslows Büro zugewiesen wurde, wurde er nicht ausdrücklich beauftragt, die Sitzungen des Sekretariats zu leiten. Ob das Absicht war oder nicht, weiß ich nicht, aber Tschernenko und manchmal auch Kirilenko nutzten diesen Umstand und leiteten die Sitzungen des Sekretariats. Das dauerte bis Juli 1982 , als sich plötzlich alles zurechtrückte.
Vor dem Beginn der Sitzung versammelten sich die Sekretäre gewöhnlich in einem Vorraum – so auch diesmal. Als ich eintrat, war Andropow schon da. Nachdem er ein paar Minuten gewartet hatte, erhob er sich plötzlich von seinem Sessel und sagte: »Sind alle da? Dann beginnen wir.«
Er schritt als Erster in den Sitzungssaal und setzte sich auf den Platz des Vorsitzenden. Als Tschernenko das sah, ließ er den Kopf hängen, sackte in den mir gegenüber am Tisch stehenden Sessel und versank darin. Das war der »innere Umsturz«, wie er sich vor unseren Augen abspielte, eine Szene, die an Gogols
Revisor
erinnerte. Andropow leitete das Sekretariat entschieden und sicher, in einer Art, die sich sehr von der langweiligen Art Tschernenkos unterschied, und gab allen Sitzungen einen gewissen Esprit.
Abends rief ich Andropow an: »Gratuliere, es hat sich etwas Wichtiges ereignet. Ich habe mich schon gewundert, dass Sie vor dem Sekretariat so angespannt und zugeknöpft waren.«
»Danke, Michail«, antwortete Andropow. »Ich hatte allen Grund zur Aufregung. Breschnew hatte angerufen und gefragt: ›Wofür habe ich dich vom KGB ins ZK geholt? Damit du dasitzt und zuguckst? Ich habe dich geholt, damit du das Sekretariat leitest und die Kader betreust. Warum tust du das nicht? …‹ Danach habe ich mir ein Herz gefasst.«
Angesichts des Zustands des Generalsekretärs zu diesem Zeitpunkt, besonders was seine Durchsetzungskraft und seinen Unwillen, mit Tschernenko zu streiten, betrifft, bin ich mir sicher, dass er zu einem solchen Anruf nicht in der Lage war. Wie mehrfach geschehen, hatte offenbar jemand danebengestanden und Druck auf ihn ausgeübt. Das konnte nur Ustinow gewesen sein. Wenn man seinen Einfluss auf Breschnew, seine Fähigkeit, den Stier an den Hörnern zu packen, und seine alte Freundschaft mit Andropow berücksichtigt, kann man das mit ziemlicher Sicherheit sagen. Ich möchte bemerken, dass weder Andropow noch Ustinow in Gesprächen mit mir auf diese Episode zurückkamen.
So kam es zu einer neuen »Stabilität«. Die Diskussionen waren recht häufig keine Formsache mehr, sondern es ging wirklich um die Sache. Die Erlasse, die angenommen wurden, hatten einen konkreteren Inhalt. Und was die persönliche Verantwortung betraf, so schüchterte Andropow die Leute manchmal so sehr ein, dass sie einem bei aller Schuld derjenigen, die sein Zorn traf, einfach leidtun konnten.
Ich hatte das Gefühl, in ihm war eine Änderung vorgegangen, die ich vorher nicht bemerkt hatte. Vielleicht spielte dabei der Umstand eine Rolle, dass mit der Verschlimmerung von Breschnews Krankheit und der Zunahme der Intrigen eine
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