Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
als Gegengewicht wurde im Eiltempo eine Kommission des Ministerrats für Landwirtschaft geschaffen.
»Ich habe nichts dagegen«, antwortete ich Tichonow fest und strich die Erwähnung des Komitees aus dem Schreiben an das Politbüro.
Tichonow atmete erleichtert auf und wurde fröhlich. Das war unser Deal.
Alle waren schockiert. Es hieß: »Gorbatschow hat Tichonow rumgekriegt.« Keiner hatte geglaubt, er werde nachgeben. Meine Gegner waren sich einfach sicher: »Gorbatschow beißt bei Tichonow auf Granit.« Aber das ganze Gerede interessierte mich nicht mehr. Der lange, kräftezehrende Marathon war für mich beendet.
Am 24 . Mai 1982 nahm das Plenum des ZK Breschnews Referat »Über das Lebensmittelprogramm der UDSSR bis 1990 und die Maßnahmen zu seiner Umsetzung« entgegen. Sowohl das Programm selbst als auch das »Paket« von sechs Erlassen zu Einzelfragen des Agroindustriellen Komplexes wurden angenommen. Jetzt mussten diese Beschlüsse den Bauern, dem Verwaltungsapparat und der ganzen Gesellschaft vermittelt werden. In der Zeitschrift
Kommunist
wurde mein Artikel »Das Lebensmittelprogramm und seine Umsetzung« veröffentlicht, ein anderer Artikel von mir über die Agrarpolitik der Partei erschien in der Zeitschrift
Die Probleme des Friedens und des Sozialismus
.
Auf der Allunionskonferenz in Charkow vom August, auf der sich die Agrarspezialisten des ganzen Landes versammelten, forderte ich die entschiedene Abkehr von extensiven Methoden der Landwirtschaft. Die Jagd nach dem zahlenmäßigen Anstieg des Viehbestands hatte zur Haltung wenig produktiver Tiere geführt: Sie mussten gefüttert werden, aber der Ertrag war jämmerlich. Selektion, die Einführung einer wissenschaftlich geprüften Ernährung und andere Verfahren intensiver Technologie dagegen würden auch bei einem geringeren Viehbestand die Fleisch- und Milchproduktion erhöhen.
Bei einem Treffen mit Arbeitern in Charkow, Ukraine, August 1982
Was war denn daran aufrührerisch? Doch als ihm davon berichtet wurde, schimpfte Schtscherbizkij: »Was sind denn das für wirre Vorschläge? Der Generalsekretär fordert den Erhalt und die Steigerung des Viehbestands, und da kommt einer und ruft zum absoluten Gegenteil auf. Das bringt doch alle durcheinander …«
Ähnlich dachten viele an der Partei- und Wirtschaftsspitze. Ihre Kriterien für den Erfolg der Landwirtschaft waren simpel: Größe der Saatflächen und Zahl der Köpfe und Schwänze in der Herde. Diese Ziffern kontrollierten sie strengstens und wachsam – sodass schon in der Anfangsphase deutlich wurde, wie schwierig die Umsetzung des Lebensmittelprogramms werden würde.
Der Leser, besonders der russische, wird sagen: »Und was hat dieses Programm nun gebracht? Die Lebensmittelsituation blieb doch, wie sie war, ja, sie verschlimmerte sich sogar noch. Warum beschreibt der Verfasser so ausführlich die Listen und Ränke der Befürworter und Gegner des Programms? Wäre es nicht richtiger zuzugeben: Wieder eine neue Utopie und neue leere Versprechungen, die sofort in der Versenkung verschwanden?« Dem möchte ich meine Meinung entgegenhalten.
Erstens wollte ich den Prozess der Entscheidungsfindung unter den Bedingungen, in denen ich war, als ich die Verpflichtungen eines ZK -Sekretärs übernahm, aufzeigen.
Zweitens: Die Ausarbeitung eines Programms dieser Reichweite war ein weiterer verzweifelter Versuch, das System in einer solch lebenswichtigen Frage wie der Lebensmittelversorgung auf Vordermann zu bringen. Und einiges ist doch dabei herausgekommen. Im 12 . Planjahrfünft ( 1986 – 1990 ) ist im Vergleich zum vorigen ( 1981 – 1985 ) die jährliche Durchschnittsproduktion von Getreide um 26 , 6 Millionen, die Fleischproduktion um 2 , 5 Millionen und die Milchproduktion um mehr als 10 Millionen Tonnen gestiegen. Die Zahl der unrentablen Betriebe sank von 25 000 auf 4000 und damit auf weniger als 10 Prozent.
Drittens: die Arbeit an der Umsetzung des Programms hat gezeigt, dass die Stabilisierung des Lebensmittelmarktes nicht nur eine Frage der Landwirtschaft, sondern auch ein Ergebnis der allgemeinen finanziellen Situation in unserem Land war, vor allem des Verhältnisses zwischen dem Wachstum der Einnahmen und den Ausgaben der Bevölkerung. Ich habe schon erzählt, dass ich in meiner Zeit als Zweiter Sekretär im Regionskomitee Stawropol ( 1968 / 69 ) das Problem lösen musste: Wohin mit dem Fleisch und der Butter? Die Menschen »weigerten sich«, sie abzunehmen. Dabei lag der
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