Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
klar, dass er alles wusste.
Im kanadischen Parlament war es zu einer sehr scharfen Auseinandersetzung gekommen, bei der ein Abgeordneter, ein ehemaliger Staatsanwalt, sich recht dreist über die Tätigkeit unserer Botschaft äußerte und sie ein Spionagenest nannte. In diesem Zusammenhang rief er die anderen denn auch dazu auf, die Äußerungen des ZK -Sekretärs Gorbatschow mit Vorsicht aufzunehmen.
Ich ergriff das Wort, um etwas zu entgegnen, und sagte: »Ich bin verwundert über die Worte des Staatsanwalts. Unsere Botschaft arbeitet mit Erfolg, und dank ihrer Tätigkeit ist es uns nun gelungen, die Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern auszubauen. Jedenfalls ist auch Mister Trudeau, der Premierminister, dieser Auffassung. Ehrlich gesagt, ich halte die Worte des Staatsanwalts für Spionomanie.« Dann fügte ich hinzu: »Wir haben in unserer Geschichte sehr viele Erklärungen dieser Art zu hören bekommen. Aber wissen Sie, in Mittelasien gibt es ein Sprichwort: ›Der Hund bellt, der Wind bläst, die Karawane zieht weiter.‹« So weit meine Antwort an den Staatsanwalt.
Diese Diskussion im kanadischen Parlament (ich weiß noch nicht einmal, ob man es eine Diskussion nennen kann, es war eher ein Gezänk) ist ein Dokument der Zeit, als der Konflikt und die Konfrontation der Blöcke eine ungeheure Spannung und Schärfe erreicht hatten.
Nach meiner Rückkehr schlug man mir vor, bei einem Treffen mit Vertretern der Regionen in der Akademie der Gesellschaftswissenschaften einen Vortrag über »Die akuten Probleme der Entwicklung des agroindustriellen Komplexes unseres Landes« zu halten. Ich hatte keine Zeit zur Vorbereitung auf diesen schwierigen Vortrag und trug nur Thesen vor. Man hatte mich vorher gebeten, von meiner Kanada-Reise zu erzählen. Diese Reise war für mich ein wichtiger Anstoß zum Nachdenken, und ich teilte den Zuhörern ein paar meiner Gedanken mit. Ich thematisierte die schwachen wirtschaftlichen Anreize zur Erhöhung der Produktivität und zu einem rationellen Umgang mit den Ressourcen bei uns, das Fehlen effektiver wirtschaftlicher Mechanismen und die unkoordinierte, nach Ressorts getrennte Verwaltung. Besonders betonte ich das Problem des inadäquaten Austauschs zwischen Landwirtschaft und Industrie und kam zu dem Schluss, dass es ohne stabilen, hochentwickelten Agrarsektor keine stabile Wirtschaft in unserem Land geben konnte.
Von Kanada erzählte ich wenig. Ich wollte die Menschen nicht gegen mich aufbringen. Der Unterschied von Geschichte, Wirtschaftsbedingungen, Charakter und Ergebnissen der landwirtschaftlichen Produktion zwischen uns und Kanada war einfach zu groß.
Meine Familie
Meine Arbeit zog nicht nur mich, sondern auch meine Familie in ihren Bann. Raissa und die Kinder waren keine unbeteiligten Beobachter meiner Suche und der Umschwünge, mit denen diese Suche einherging. Sie sahen, wie schwer alles war, unterstützten mich, halfen, wo sie konnten, und bewahrten in unserer »Festung« Frieden, Eintracht und Verständnis füreinander. Natürlich drehte sich nicht alles nur um meine Sorgen; unsere Familie hatte auch andere Probleme und durchlebte Ereignisse, die Freude oder Kummer brachten.
Das Schönste war die Geburt unserer ersten Enkelin Xenia im Jahr 1980 . Wie Raissa und Irina kam sie im Januar zur Welt, am 21 . Ein neues Leben begann. Wie heißt es doch so richtig in dem Lied: »Dann kommen die Enkel, und alles fängt wieder von vorne an.«
Raissa wurde immer nachdrücklicher aufgefordert, eine neue Studie in den Dörfern und Kosakensiedlungen durchzuführen, in denen sie das Material für ihre Dissertation gesammelt hatte. Die Idee war verlockend, aber unsere Moskauer Verpflichtungen ließen das nicht zu.
Wir kamen nicht leicht aus Moskau heraus und luden darum meine Mutter und Raissas Eltern immer wieder zu uns ein. Anfangs kamen sie oft und gern, aber die Jahre forderten das Ihre, es fiel ihnen immer schwerer, nach Moskau zu reisen. Krankheiten und Unpässlichkeiten häuften sich. Wir versuchten, ihnen bei der medizinischen Betreuung zu helfen, versorgten sie mit Medikamenten, Geld, Kleidung, Lebensmitteln, mit allem, was wir konnten. Unsere Sorgen begannen mit den Enkeltöchtern und endeten mit den Eltern. Zu alldem kam noch das Unglück mit Raissas Bruder Jewgenij hinzu, der seiner alten Leidenschaft für den Alkohol nicht abschwören konnte. Raissa trug schwer daran.
Präsentation der Urenkelin: Xenia mit ihrer Großmutter und ihren Urgroßeltern; Sosnowka,
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