Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
Reparaturen; ein Getreidespeicher aus Aluminium; zwei Häuser, Autos. An allem war zu sehen: ein wohlhabender Farmer. Wir kamen ins Gespräch.
»Wie viele Mitarbeiter haben Sie?«, wollte ich wissen.
»Zwei, drei ständige. In der Saison mehr.«
Wir gingen herum und schauten uns alles an. Erst als wir aufbrechen mussten, schon auf der Schwelle, stellte ich die letzte, wichtigste Frage: »Unlängst ist das Jahr zu Ende gegangen. Wissen Sie schon, wie hoch die Ausgaben und die Einnahmen waren? Und wie die Bilanz aussieht?«
Der Farmer schaute den Minister an, als wolle er fragen: Kann ich das sagen oder nicht? Der forderte ihn auf: »Sag die Wahrheit.«
»Wenn ich die Wahrheit sagen soll«, antwortete der Farmer, »so muss ich zugeben, ohne Subventionen und Kredite komme ich nicht durch.«
Meine Frage, wie er seinen Urlaub verbringe, wunderte ihn: »Was für einen Urlaub? Es gibt bei uns Farmern Feste, alle möglichen Wettkämpfe, Pferde- und Ochsenrennen. Wir nehmen uns ein, zwei Tage und fahren mit der Familie dahin, das ist unser ganzer Urlaub. Man kann die Farm nicht allein lassen. Das ist so eine Art ›freiwillige Leibeigenschaft‹.«
Ich überlegte, wie viele unserer Kolchosbauern und Mechaniker zu so etwas wohl bereit wären. Wie konnte man die Menschen bei uns dazu bewegen, aufs Land zurückzukehren, und gleichzeitig die Vorteile bewahren, die ihnen eine große Kollektivwirtschaft bot? »Subventionen bei diesen Ernte- und Milcherträgen? Das verstehe ich nicht.«
»Michail«, antwortete der Minister, »ein Agrarsektor auf modernem Niveau kann sich nirgendwo ohne staatliche Zuschüsse halten. Wir geben Dutzende Milliarden für die Kredite an die Bauern aus, in den USA sind es Hunderte Milliarden. Gerade deshalb versuchen wir ja, die Ausgaben durch den Getreideexport zu kompensieren.«
Fazit: das Engagement des Eigentümers, aber auch staatliche Unterstützung!
Am dritten Tag meiner Reise kam es zu einem kuriosen Zwischenfall. Der Landwirtschaftsminister Eugene Whelan lud mich zu sich nach Hause ein, zu einem Treffen mit befreundeten Farmern – vierzig Leute. Nach den Gesprächen folgte die Bewirtung mit Beefsteaks von Riesenausmaßen und natürlich Whiskey. Die Unterhaltung war interessant, gehaltvoll und angenehm. Am Morgen des folgenden Tages, um 7 Uhr, als wir noch alle schliefen, meldete Radio Kanada, ich hätte nach dem Treffen mit dem kanadischen Minister einen Herzanfall gehabt und sei gestorben.
Die Anspielung war klar: Gorbatschow hat die kanadische Gastfreundschaft nicht ausgehalten. Dank der Bemühungen des Ministers und des sowjetischen Botschafters Jakowlew gelang es, diese Meldung um 8 Uhr abzusetzen. Trotzdem verbreitete sie sich im Land. Am folgenden Tag fragten mich die Journalisten, was denn eigentlich geschehen sei. Ich erzählte, wie es gewesen war: eine offene, interessante Unterhaltung, ein wunderbares Essen, Trinksprüche. Danach hatten alle gut geschlafen. Als Antwort auf die Frage nach diesem Vorfall zitierte ich den berühmten Ausspruch von Mark Twain: »Die Gerüchte von meinem Tod sind leicht übertrieben.« Die Kanadier waren dankbar, dass ich dieses Missverständnis nicht dramatisierte.
Aber ich muss noch etwas erzählen. Die Vertreter von Radio Kanada baten mich, auf ein, zwei Fragen zu antworten. (Später stellte sich heraus, dass es ein amerikanischer Sender war.) Wir gingen zusammen mit Whelan hin, und ich bat: »Stellen Sie Ihre Fragen, aber wir haben sehr wenig Zeit.«
»Gut, dann stellen wir nur eine Frage. Aus Anlass Ihrer Reise kursiert bei uns die Meinung, Jurij Andropow, der derzeitige Generalsekretär des ZK der KPDSU , suche nach einem Nachfolger für sich. Er habe Sie nach Kanada geschickt, damit Sie die Welt kennenlernen und sich umschauen, wie man in anderen Ländern lebt. Was haben Sie dazu zu sagen?«
Meine Antwort war kurz: »Auf der Suche nach Sensationen stellen die Journalisten häufig solche Fragen. In meinem Fall ist alles ganz einfach und klar. Ihr Minister für Landwirtschaft war bei uns und ist durch unser Land gereist. Er hat sehr viel gesehen, sich mit unseren Menschen getroffen und unterhalten. Als Antwort habe ich von der kanadischen Regierung eine Einladung erhalten, Ihr Land zu besuchen. Das ist alles.«
Ich ging davon aus, Andropow würde über diesen Vorfall mit Sicherheit informiert. Als ich nach Moskau zurückkehrte, erzählte ich ihm deshalb von meiner Reise und von diesem Interview. Er lächelte und winkte ab. Mir war
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