Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
ehrliche Gefühle verbinden. Wie die
Nowaja
gaseta
schrieb, sahen die Leute auf einmal: »Offenbar lieben sie sich.«
Für mich war Raissa die Frau, die ich liebte. Wir waren Freunde. Wir unterstützten uns in allem und sorgten uns umeinander.
Erste schlechte Anzeichen gab es in Foros, wo man uns am 18 . August 1991 internierte und von der Außenwelt abschnitt. Raissa hatte dort einen tiefen Gehirngefäßkrampf oder einen Mikroschlaganfall. Sie konnte nicht reden, die rechte Hand war gelähmt. Ich erinnere mich an ihre Augen in diesem Moment und sehe sie auch jetzt noch vor mir: In ihnen stand der Schrecken, ein Flehen.
Gemeinsam mit den Ärzten Professor Borisow und Pokutnij und unter Beteiligung unserer Tochter Irina und unseres Schwiegersohns Anatolij, beide ebenfalls Ärzte, konnte die Krise überwunden werden. Allerdings musste Raissa nach der Rückkehr nach Moskau sofort das Bett hüten. Dann kam die Lauferei zu den Ärzten. Netzhautblutung des einen, dann auch des anderen Auges, schwere Beeinträchtigung der Sehkraft, Depression, alles auf einmal. Der schwierige Herbst 1991 , der Zerfall des Landes, mein Rücktritt als Präsident, der Schwall dreckiger Beschuldigungen, der sich über unsere Familie, vor allem natürlich über mich, ergoss, verhinderten Raissas Gesundung. Sie stand unter dem Eindruck dieser schweren Erlebnisse.
Was für ein treuer Freund sie war! 1996 beschloss ich, an den russischen Präsidentschaftswahlen teilzunehmen. Fast alle waren gegen meine Entscheidung. Nur Raissa verstand, dass ich mich nicht um die Macht riss, sondern die Möglichkeit haben wollte, während des Wahlkampfs all das offen zu sagen, was ich den Leuten während der letzten Jahre nicht hatte sagen können, weil ich bis zu dem Zeitpunkt, da Putin an die Macht kam, total isoliert war. Bei fast allen meinen Auftritten in 22 Regionen des Landes war Raissa dabei.
Von Beginn bis zum Schluss des Präsidentschaftswahlkampfs des Jahres 1996 führte das »Jelzin-Heer« eine unerhörte Schlammschlacht gegen mich. Sobald ich von der Wahlkommission als Präsidentschaftskandidat der Russischen Föderation registriert worden war, erließ Jelzin eine Richtlinie, meine Person betreffend, an alle Stäbe und Unterstäbe. Es folgte das Kommando: »Gorbatschow kaltstellen!« Mit Ausnahme von Jurij Noschikow, Gouverneur von Irkutsk, Michail Kisljuk, Gouverneur von Kemerowo, Aman Tulejew, Vorsitzender der gesetzgebenden Versammlung, Iwan Schabunin, Chef der Administration des Gebiets Wolgograd und Oleg Sysujew, Bürgermeister der Stadt Samara, waren alle Gouverneure bei meiner Ankunft zu den Treffen mit den Wählern entweder »sehr beschäftigt« oder abwesend, »kontrollierten« aber streng den ganzen Prozess, um mir die Situation zu erschweren oder ein Bein zu stellen, das heißt die Treffen mit den Wählern zu verhindern.
In allen Gebieten wurde ich von einer Gruppe der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation beobachtet. Sie empfing mich beim Betreten des jeweiligen Gebäudes, in dem die Veranstaltung geplant war, mit der immer gleichen Losung: »Judas, du Verräter!« In der Regel wurde mir der schlechteste, kleinste Raum oder auch gar keiner zur Verfügung gestellt. So zum Beispiel in Wladimir, wo mir ein Raum zugeteilt wurde, in dem noch nicht einmal ein Zehntel der Versammelten Platz hatte. Im Auto, mit dem ich gekommen war, sitzend, sprach ich durch ein Mikrofon zu den Wählern auf dem Vorplatz des Gebäudes.
Anatolij Sobtschak, Bürgermeister von St. Petersburg, wurde gezwungen, sich den illegalen Forderungen des Präsidenten der Russischen Föderation zu beugen. Die Aula der Universität war auf einmal »wegen Renovierung geschlossen«. Daraufhin setzten sich die Studenten in mehreren Stockwerken auf die Treppen und hörten meine Ansprache. Meine Freunde in St. Petersburg sind noch heute empört, wenn ich sie daran erinnere. Als ich an die Universität in Nowosibirsk kam, um mich mit der Jugend und nicht nur mit ihr zu treffen, bekam ich keinen Saal, der groß genug war. Es waren so viele gekommen, dass ein Gedränge entstand, bei dem Türen und Fenster zu Bruch gingen. Der Saal war zum Bersten voll, aber das Treffen fand statt.
Die Studenten hörten mir aufmerksam zu und antworteten mit einer stürmischen Ovation. So war es in Petersburg, Nischnij Nowgorod, Irkutsk, Samara, Jekaterinburg und Ufa. Diese Treffen widerlegten klar die Mähr von der unpolitischen Jugend. Tausende und Abertausende von Bürgern wollten
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