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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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los!«
    Plötzlich war eine weibliche Stimme zu hören: »Wie kommen Sie denn darauf, Michail Sergejewitsch! Wir sind doch Russen!«
    Der Angriff war abgefangen. Nach meiner Ansprache kamen die Fragen, alles verlief normal.
    Diejenigen, die dieses Treffen hatten platzen lassen wollen, hatten es nicht geschafft. Als das Publikum mich verabschiedete, standen die Leute von ihren Plätzen auf. Da umzingelte mich eine Gruppe von Leuten – die, die vorher im Saal aus allen Ecken gebrüllt hatten. Es stellte sich heraus: alles frühere Parteifunktionäre, denen der Sinn nicht nach Demokratie stand. Sie wollten sich an ihrem früheren Generalsekretär rächen.
    Ich fragte sie: »Was wollt ihr eigentlich?«
    Sie forderten mich auf, mich mit Sjuganow zusammenzuschließen.
    »Ich kann mich nicht mit ihm zusammentun, weil ich prinzipiell anderer Meinung bin als er. Was ihr mir vorwerft, richtet sich gegen ihn: Denn Sjuganow und sein Umfeld überredeten 1991 , als wir die Vereinbarungen von Belowesch [30] in den Obersten Sowjets Russlands, Weißrusslands und der Ukraine behandelten, die russischen Abgeordneten, für diesen Vertrag zu stimmen. Mit diesen Leuten will ich nichts gemein haben. Wenn Sie für Sjuganow stimmen wollen, bitte schön. Das Wahlrecht dazu haben Sie ja durch die Perestrojka bekommen.«
    Plötzlich hörte man: »Sjuganow, was soll das denn für ein Präsident sein?!« (Ich war derselben Meinung.)
    Eine St. Petersburger Zeitung druckte einen Artikel über dieses Treffen, den jeder lesen konnte. Darin hieß es, das Kino sei brechend voll gewesen, allenfalls auf den Lüstern sei noch Platz gewesen.
    Noch zu Petersburg: Ich war dort bei einem Rüstungsbetrieb, der Ozeanschiffe baut. Es war eine interessante Besichtigung – interessant war auch zu hören, wie sich die Menschen an die neue Zeit gewöhnten. Als ich gehen wollte, bat jemand: »Michail Sergejewitsch, hier ist eine junge Korrespondentin, die schon den halben Tag darauf wartet, dass Sie ihr eine einzige Frage beantworten.«
    »Gut, ich bin bereit.«
    Die Frage lautete: »Arbeiten Sie noch immer beim CIA ?«
    Ich schaute sie an: ein junges Gesicht. Jemand hatte sie auf mich angesetzt, sie erfüllte einen Auftrag. Ich antwortete: »Ja.«
    »Und warum?«
    »Die Bezahlung ist gut«, sagte ich und drehte mich um …
     
    Ich möchte noch vom Treffen in der Universität in Irkutsk erzählen. Es fand in der Aula statt, wo sich Studenten, Lehrer und andere Wähler eingefunden hatten. Der Saal war überfüllt. An meine Ansprache schloss sich eine Diskussion an. Es gab viele Fragen. Auf einmal stellte sich ein Mann mit einer großen Aktentasche an einen gut sichtbaren Punkt und machte sich als Dozent des Lehrstuhls für Marxismus-Leninismus bekannt: Im Jahr sowieso haben Sie das und das gesagt, zwei, drei Jahre später das und das, dann haben Sie das und das geschrieben. »Es stimmt doch, dass Sie das gesagt haben, oder wollen Sie das etwa abstreiten?«
    »Nein.«
    »Und was soll man dann von Ihnen halten?« Seine Augen funkelten, es war für ihn ein »innerer Reichsparteitag«, dass er Gorbatschow »in die Enge getrieben« hatte.
    »Gut, nun möchte ich Ihnen meinerseits eine Frage stellen, in Gegenwart aller Zuhörer. Vor der Oktoberrevolution hat Lenin gesagt, das Proletariat komme mit demokratischen Mitteln an die Macht und werde demokratisch regieren. Aber in seinem Buch
Staat und Revolution
setzte er sich für die Einrichtung der Diktatur des Proletariats ein. 1921 schlug er unter dem Druck der Ereignisse die Neue Ökonomische Politik ( NÖP ) vor. Er begründete das damit, die Bolschewiki hätten einen Fehler gemacht und einen falschen Weg eingeschlagen; sie müssten ihre Ansicht vom Sozialismus radikal ändern. Die Neue Ökonomische Politik brachte das Land schon 1926 auf das Niveau des besten vorrevolutionären Jahres, auf das Niveau des Jahres 1913 . Sie sind doch sicher auf der Seite Lenins, oder?«
    »Ja, ja.«
    »Dann sagen Sie mir bitte: Warum geben Sie Lenin das Recht, seine Positionen, Ziele, Schlüsse, seine Politik zu ändern, und gestehen es mir nicht zu?«
    Die Zuhörer applaudierten. Der Mann, der die Fragen gestellt hatte, drehte auf dem Absatz um und ging.
    Ich nutzte meine Wahlreisen, um einen möglichst großen Kreis von Menschen über die Perestrojka und ihre Errungenschaften aufzuklären und darauf hinzuweisen, dass Jelzins auf den Raubtierkapitalismus, die Plünderung des Eigentums und den Zusammenbruch des Landes gerichteter Kurs

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