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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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Möbelbetrieb und allerlei Nebensächlichkeiten interessierte. In Wirklichkeit jedoch machte ich mich damals vor allem mit der Konstruktion eines neuen U-Boot-Modells vertraut. Das Material sollte tieferes Tauchen ermöglichen und damit den Lärm auf ein Minimum reduzieren. Das war die vordringlichste Aufgabe, und sie wurde gelöst. Ich habe dieses Projekt auf jede erdenkliche Weise unterstützt und mich ins Zeug gelegt, dass das Modell schnellstmöglich in Betrieb genommen werden konnte. Das war das Wichtigste an meiner Reise. Aber es war kein Thema für die Presse.
    Als ich in Komsomolsk die Besichtigung des U-Boot-Betriebs beendet hatte und durch die Stadt ging, hörte ich die unglaublichsten Geschichten: In der größten Sommerhitze sei in der Stadt kein Eis aufzutreiben, die Einwohner bekämen Wohnungen, könnten sie aber nicht einrichten, weil sie ans Ende der Welt fahren müssten, um Möbel zu kaufen. Die Rüstungsbetriebe schickten täglich Frachtflugzeuge nach Taschkent, aber von Taschkent Obst und Gemüse für die U-Boot-Arbeiter liefern zu lassen, dafür fühlte sich niemand zuständig.
    Ich brach meinen Urlaub ab und reiste nach Krasnodar und nach Stawropol. Ich wollte mit den Menschen reden, meine Überlegungen überprüfen. Es geschah kein Wunder. In Krasnodar und Stawropol war es dasselbe. Die Unterstützung der Bevölkerung für die Perestrojka war nicht geringer geworden, aber die Verwaltungs- und Parteistrukturen ließen alles beim Alten. Es sah aus, als seien alle dafür, aber ändern tat sich nichts. War das eine Unfähigkeit, das Verhalten zu ändern, oder machte sich hier ein intuitiver Selbsterhaltungstrieb bemerkbar?
    Die Menschen bemerkten das und nutzten Glasnost, um ganz offen und ohne Rücksicht die Obrigkeit zu kritisieren und ihr vorzuhalten, sie kümmere sich nur um ihre eigenen Interessen und zu wenig darum, die Arbeit neu zu organisieren. Es gab keine Verbesserung der sozialen Situation. In der Flut von Korrespondenz an das ZK der KPDSU gab es immer häufiger Briefe, in denen sich die Menschen besorgt über das Geschehen äußerten. Jemand aus Weißrussland forderte ganz unverblümt: »Michail Sergejewitsch, erteilen Sie den Befehl, das Hauptquartier zu bombardieren!« Er schlug also vor, die Losungen der chinesischen Kulturrevolution umzusetzen. So weit gingen die Interpretation und die Auffassung in der öffentlichen Meinung.
    Diese Reisen überzeugten mich davon, dass die Veränderungen von den Verwaltungsetagen nicht ausreichend unterstützt wurden. Die Beamten sabotierten die Perestrojka und weigerten sich, die einfachsten Alltagsprobleme der Leute in die Hand zu nehmen. In großer Besorgnis kehrte ich nach Moskau zurück. Ich kann nicht sagen, dass alle meine Kollegen im selben Maße beunruhigt waren.
    Gegen Ende des Jahres 1986 war ich mir endgültig der Notwendigkeit bewusst, dass eine Plenartagung zu Fragen der Kader stattfinden musste. Wir begannen das Material vorzubereiten. Aber die Arbeit an meinem Vortrag zog sich hin.
    Dennoch konnten wir am 1 . Dezember das Konzept bei einer ersten Lesung besprechen. Trotz aller Unterschiede in den Positionen meiner Kollegen fanden die wesentlichen Ideen des Konzepts Unterstützung.
    Für die abschließende Arbeit an dem Vortrag begab ich mich nach Sawidowo, den Landsitz des Generalsekretärs. Alexander Jakowlew, Wadim Medwedjew und Walerij Boldin begleiteten mich.
    Die Arbeit ging langsam voran. Es gab einen Moment, da gerieten wir in eine Sackgasse und zerstritten uns. Ich schlug meinen Kollegen vor, die Arbeit zu unterbrechen und auseinanderzugehen, damit jeder für sich nachdenken könne. Fast achtundvierzig Stunden später kamen wir wieder zusammen.
    Die Situation war so, dass ich überlegte, ob ich die Zusammensetzung der Gruppe ändern sollte. Doch ich ließ es und tat recht daran.
    Nachdem sich die Wogen geglättet und wir die Arbeit wieder aufgenommen hatten, kamen wir in den prinzipiellen Fragen schnell zu einer Einigung.
    Klar war: Ohne das Nomenklaturprinzip in der Kaderpolitik zu überwinden und eine Demokratisierung von Partei und Gesellschaft herbeizuführen, war die Situation hinsichtlich der Kader nicht zu ändern. Diese Schlussfolgerung stützte sich auf die Analyse der damaligen aktuellen Situation. Ich kann mich erinnern, wie Ryschkow einmal in einer Politbürositzung sagte, nicht ein einziger der sechzig Minister habe seinen Rücktritt eingereicht, obwohl es bei vielen längst an der Zeit sei und sie mit der neuen

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