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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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Referat anvisierte. Und was sollte man dann von den Mitarbeitern anderer Parteiorgane, von der riesigen Nomenklatur erwarten?
    Die Jahreswende 1986 / 87 ist als erstes gravierendes Anzeichen für eine Krise der Perestrojka zu werten. Die Gesellschaft lebte in der Erwartung erfolgversprechender und leicht durchzuführender Veränderungen und ahnte noch nicht, welche Schwierigkeiten der hartnäckige Widerstand der Retrograden und die Aggressivität der Radikalen mit sich bringen würden.

13 . Kapitel
    Eine neue Weltsicht: Die Menschheit hat aufgehört, unsterblich zu sein
    Von Anfang an war mir klar: Ohne eine Verbesserung unserer internationalen Beziehungen war an radikale Reformen in unserem Land nicht zu denken. Der Druck, der mit unserer Beteiligung am aufreibenden Wettrüsten und unserer Involvierung in Konflikte an verschiedenen Punkten des Erdballs zusammenhing, musste herabgesetzt werden. Wenn man eine neue Welt haben wollte, musste Schluss mit dem Kalten Krieg gemacht werden. Versuche, die internationalen Beziehungen zu verbessern, konnten nicht aufgeschoben werden, sondern mussten Bestandteil unseres politischen Kurses sein.
    Wenn man mich nach den Motiven für die Perestrojka fragt, betone ich immer die innenpolitischen Gründe. Aber die außenpolitischen Gründe waren nicht minder wichtig, insbesondere die atomare Bedrohung mit ihren unvorhersehbaren Folgen für unser Land und die ganze Welt. Einstein hat als Erster von der Notwendigkeit eines neuen Denkens im Zeitalter der Atomwaffen gesprochen. Die Menschheit hat aufgehört, unsterblich zu sein. Wir müssen den Erhalt des Lebens auf der Erde in den Vordergrund rücken.
    Mitte der achtziger Jahre war die Gefahr eines Atomkriegs gestiegen. Die internationale Gemeinschaft steckte in einer Sackgasse. Das höllische Wettrüsten hatte eine solche Geschwindigkeit erreicht, dass schwer vorstellbar war, wie man es anhalten oder zumindest bremsen könne. Es bestand auch die Gefahr, dass es zu einem Atomkrieg hätte kommen können, ohne dass ihn jemand wollte. Man musste etwas tun.
    Das neue Denken erlaubte es, die recht verstandenen Interessen unseres Landes mit den Interessen der Menschheit zu verbinden. Auf diese Weise öffnete sich die Möglichkeit einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit anderen Staaten.
    Als wir die Perestrojka begannen, deren Sinn ja darin bestand, unserem Volk die Freiheit zu geben, musste die sowjetische Führung dieses Recht auch den anderen Ländern zugestehen. Das führte zur prinzipiellen Ablehnung jeder Einmischung in die Angelegenheiten der »Bruderländer« des Warschauer Paktes. Damit war einer der wichtigsten Schritte zur Befreiung vom stalinistischen Erbe vollzogen.
    Die sowjetische Führung hat recht daran getan, sich nicht in die Veränderungen Mittel- und Osteuropas einzumischen. Bis heute wird mir vorgeworfen, ich hätte diese Länder »abgegeben«. Nein, ich habe sie nicht abgegeben, sondern nur dem Volk dieser Länder überlassen.
    Die neuen Prinzipien der Perestrojka haben auch eine entscheidende Rolle bei der Wiedervereinigung Deutschlands gespielt. Hauptakteur der Wiedervereinigung war das Volk dieser Länder. Das ist die sicherste Grundlage für Verständnis und Zusammenarbeit.
    Bekanntlich wurde die Entspannung der siebziger Jahre in vieler Hinsicht durch unsere Zusammenarbeit mit Frankreich ausgelöst. Dies bestimmte die Wahl von Frankreich als dem Land, in das ich in meiner Eigenschaft als Generalsekretär meine erste offizielle Auslandsreise unternahm. Damals sagte ich, wir leben in einem gemeinsamen Haus, auch wenn die einen dieses Haus durch den einen Eingang betreten und andere einen anderen Eingang benutzen. Wir müssen die Kommunikation in diesem Haus gemeinsam aufnehmen. So kam erstmals das Bild von »unserem gemeinsamen Haus Europa« zustande. Genau darüber sprach ich mit François Mitterrand, mit dem mich seit dieser Begegnung intensive Beziehungen verbanden.
    Ein Jahr später trafen wir uns in Moskau, und ich vernahm von ihm den klar formulierten Gedanken: »Europa muss wieder der Hauptakteur seiner eigenen Geschichte werden, damit es sich in vollem Umfang für Gleichgewicht und Stabilität in den internationalen Beziehungen einsetzen kann.«
    Mit François Mitterrand bei einer Pressekonferenz in Paris, Oktober 1985
    Mitte der achtziger Jahre war die Zeit des Kalten Krieges auf dem Höhepunkt angekommen. Nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan war die Situation extrem angespannt. Es musste

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