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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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ein Unfall, ein Brand. Die Situation war so, dass wir in den ersten zwei Tagen nicht an die Öffentlichkeit treten konnten. Aber wir handelten in der Annahme, dass etwas äußerst Gefährliches passiert war.
    Eine Regierungskommission wurde gebildet, zu der Fachleute für Atomkraftwerke, Radiologen, Ärzte und Vertreter von Organisationen, die Umweltkontrollen vornahmen, gehörten. Außerdem wurden eine Kommission der Akademie der Wissenschaften der UDSSR und der Ukrainischen Akademie eingerichtet. Aber selbst noch am 27 . April war die Information der Kommission unklar und unübersichtlich. Ryschkow, Ligatschow und Schtscherbizkij wurden an die Unfallstätte geschickt. Die Dimension des Unglücks trat immer deutlicher hervor. Es wurde klar, dass wir vor allem für die Sicherheit der Menschen sorgen mussten.
    Fast eine Million Menschen erhielten ärztliche Hilfe, darunter 200 000  Kinder. Es wurde beschlossen, die Menschen aus der Stadt Pripjat umzusiedeln. Und als eine erste Karte der radioaktiven Verseuchung erstellt war und die Wissenschaftler zu dem Schluss kamen, dass dort in Zukunft keine Menschen mehr leben können, begann die Evakuierung zuerst aus einer 10 -Kilometer-, später aus einer 30 -Kilometer-Zone. Die Bewohner wollten nicht wegziehen, zum Teil musste Zwang angewandt werden. In den ersten Maitagen sind ca. 135 000  Menschen umgesiedelt worden.
    Eins der schwierigsten Probleme war der zerstörte Reaktorblock. Es musste verhindert werden, dass radioaktive Stoffe durch den Erdboden in den Dnepr dringen. Dazu wurden chemische Truppen eingesetzt, die nötige Technik bereitgestellt und Deaktivierungsarbeiten in Angriff genommen. In der Anfangszeit konzentrierte sich die Sorge auf Kiew und den Dnepr. Später zeigte sich, dass Weißrussland, insbesondere Mogiljow, am stärksten betroffen war. Dutzende unbekannter Probleme mussten rund um die Uhr von den Forschungszentren in Moskau, Leningrad, Kiew und in anderen Städten gelöst werden. Viele Menschen boten ihre Hilfe an und baten, nach Tschernobyl geschickt zu werden. Wie in anderen schweren Momenten unserer Geschichte zeigten sich in diesen sorgenvollen Tagen wieder die besten Eigenschaften unserer Menschen: Selbstlosigkeit, Menschlichkeit, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft in der Not.
    Die Beseitigung der unmittelbaren Folgen der Explosion kostete 14  Milliarden Rubel, zu denen später noch ein paar Milliarden hinzukamen. Die Fachleute der Internationalen Atomenergiebehörde ( IAEO ) hatten keine Beanstandungen, sie bestätigten, dass alles Mögliche und Notwendige getan wurde.
    Und trotzdem – in den ersten Tagen war, offen gesagt, nicht klar, dass es sich um eine Katastrophe nicht nur nationalen, sondern globalen Ausmaßes handelte. Die Unsicherheit führte zu Gerüchten und Panik. Damals und heute werden die Maßnahmen der ukrainischen, weißrussischen und zentralen Führung kritisiert. Ich kann niemanden einer verantwortungslosen Haltung gegenüber den Menschen beschuldigen. Wenn etwas nicht zeitig genug geschah, dann vor allem aus Unwissen. Nicht nur die Politiker, auch die Wissenschaftler und Spezialisten waren von dem Geschehen überrumpelt.
    Mitte Mai trat ich im Fernsehen auf. Ich sprach den Opfern mein Beileid aus, berichtete von den eingeleiteten und einzuleitenden Maßnahmen und zollte der Tapferkeit der Menschen, die sich an der Beseitigung der Unglücksfolgen beteiligt hatten, meine Hochachtung. Staatliche und gesellschaftliche Organisationen vieler Länder, Firmen und Privatpersonen schickten Löschmittel, Robotertechnik und Medikamente, eine nie da gewesene Solidaritätsbekundung. Helden des Unglücks von Tschernobyl waren neben sowjetischen Menschen auch die amerikanischen Ärzte Robert Gale und Paul Terasaki sowie der Präsident der Internationalen Atomenergiebehörde Hans Blix.
    Für mich persönlich bedeutete das Reaktorunglück einen kritischen Moment nicht nur der Perestrojka-Zeit, sondern meines ganzen Lebens. Vieles musste überdacht und korrigiert werden. Mein Leben teilt sich in zwei Hälften: eine vor Tschernobyl und eine danach.
    Heute stehen die Energieprobleme wieder auf der Tagesordnung, denn die nicht erneuerbaren Energiequellen neigen sich dem Ende zu, und die Wissenschaft hat bisher keine grundsätzliche Lösung des Energieproblems gefunden. Wieder ist ein Bauboom von Atomkraftwerken zu beobachten.
    Lange hatte ich eine negative Einstellung dazu. Aber jetzt, da ich die Situation kenne, sehe ich an Details, dass die

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