Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
Vom Netzwerk:
Situation ganz offensichtlich überfordert seien. Und auch im Ganzen gesehen begünstigten Zusammensetzung und Niveau der Kader mit Sicherheit nicht die Durchführung einer tiefgreifenden Reform. Aus Vorgesprächen über das Plenum wusste ich, dass ich fest auf die Unterstützung von Ryschkow und Schewardnadse zählen konnte.
    In einem Vieraugengespräch mit Worotnikow war ich auf der Hut. Und die anderen? Würden sie die grundlegenden Ideen der Demokratisierung unterstützen? Schließlich bedeutete dies tatsächlich das Ende des Nomenklaturprinzips. Anstelle der Nominierungen würde es Wahlen geben müssen, zudem echte Wahlen. Ein neues entscheidendes Element würde in die Kaderauswahl eingeführt – die Meinung und der Wille von Bürgern und Parteimitgliedern.
    Nach schwierigen Vorarbeiten wurde mein Referat für die Plenarveranstaltung am 19 . Januar 1987 dem Politbüro vorgelegt. Die Aufnahme übertraf alle Erwartungen. Fast alle Politbüromitglieder und ZK -Sekretäre unterstützten es. Gromyko gab den Ton an: »Das Projekt ist sehr tiefgreifend … Es gibt ein Kontingent von Kadern, die sich noch nicht bewähren konnten, und es gibt diejenigen, für die das eine Nummer zu groß ist. Es geht um Sein oder Nichtsein des sozialistischen Staates.«
    Ryschkow bemerkte: »Die Kritik ist hart, aber die Situation ist nicht ausweglos.« Er bekannte sich eindeutig zur Unterstützung des Abschnitts über die Demokratisierung und verknüpfte dieses Thema mit den Problemen der Wirtschaft. Er schlug vor, eine maximale Frist zur Ausübung staatlicher Ämter, darunter auch von Ministern, einzuführen sowie geheime alternative Wahlen der Sekretäre von Parteikomitees.
    Ligatschow sah, dass von dem in der Organisationsabteilung vorbereiteten Routinematerial, das er gutgeheißen hatte, im Projekt des Vortrags praktisch nichts mehr übrig war. Doch er gab die beste Note. Mehr noch, er sprach sich für die Notwendigkeit der Reform des politischen Systems aus. »Mich beschäftigt der Gedanke, was man tun muss, damit wir nicht immer wieder Krisen durchmachen müssen, die unmäßigen Schaden anrichten. Ich bin überzeugt: Das Wichtigste ist die Demokratisierung.«
    Auch Schewardnadse griff dieses Thema auf. Er erinnerte an den Krieg in Afghanistan und sagte, früher »wurde das Kollegialprinzip oft missachtet, Entscheidungen wurden von einer kleinen Gruppe getroffen, ohne Einbeziehung der Mitglieder des Politbüros, ganz zu schweigen von den Mitgliedern des ZK der KPDSU und den höchsten Staatsorganen«. Jetzt »bildet sich ein ganzes System von Maßnahmen heraus, das garantiert, dass sich diese Fehler nicht wiederholen. Das ist eine moralische Revolution.«
    Da Jelzin selbst keinerlei Anstalten machte, das Wort zu ergreifen, fragte ich ihn, ob er nicht etwas sagen wolle. Er begann mit der »Unterstützung der Mehrzahl der im Vortrag aufgeworfenen Fragen«, sagte, er teile die kritische Nachdrücklichkeit in der Einschätzung der Vergangenheit, halte es aber für unerlässlich, eine klare Einschätzung der Perestrojka-Zeit vorzunehmen. Weiterhin sagte er, die Schuld an der Stagnation und der verlangsamten Entwicklung des Landes trügen die Mitglieder von Politbüro und ZK in deren früherer Zusammensetzung, weshalb man jedem von ihnen eine persönliche Bewertung geben müsse.
    Nach einer mehrstündigen Diskussion merkte ich in meiner Schlussrede an, die Hauptaufgabe der Plenartagung bestehe darin, die tieferen Gründe offenzulegen, die uns zu der derzeitigen Situation geführt hätten, und die sich unter solchen Schwierigkeiten in unserem Land vollziehenden Umgestaltungsprozesse zu unterstützen. Ich sprach mich dagegen aus, das Problem auf die Einschätzung der früheren Führung und ZK -Mitglieder zu reduzieren. Wichtig seien für uns die politischen Schlussfolgerungen und Lehren für die Zukunft. Die Perestrojka käme langsam voran, und wie in meinem Referat ausgeführt, hänge das in hohem Maß mit den Kadern zusammen. Man müsse frische Kräfte hinzuziehen, aber die Sache nicht übers Knie brechen und keine Jagd auf die Kader veranstalten. Die Perestrojka sei im Namen der Stärkung demokratischer Prinzipien in Gesellschaft und Partei angetreten. Dieses Ziel könne man nicht mit undemokratischen Herangehensweisen erreichen.
    Im Politbüro kam man – was mich freute – zu dem Schluss: Mit diesem Vortrag musste man sich vor dem Volk nicht schämen.
    Auf der Plenartagung, bei der von den insgesamt 77  Rednern, die sich für

Weitere Kostenlose Bücher