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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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die Debatte angemeldet hatten, 34 das Wort ergriffen, kritisierten alle die Bürokratie, alle waren Feuer und Flamme für die Demokratisierung. Und doch brachte uns diese Tagung, sosehr sie sich auch von den vorhergehenden in Atmosphäre und Ernsthaftigkeit der Diskussion unterschied, in der Hauptfrage kaum einen Schritt weiter. Niemand wagte es, die Rechtmäßigkeit des Parteimonopols bei der Besetzung der Kader anzuzweifeln. Die Frage, wie freie Wahlen mit dem Nomenklaturmechanismus zu vereinen seien, umgingen die Redner lieber.
    Die KPDSU war ein mächtiger Nomenklaturapparat mit eingefahrenen Gewohnheiten und Spielregeln. Das Politbüro selbst war ein organischer Teil von ihm. Doch die Mehrheit der Politbüromitglieder ließ sich ungern auf eine Umgestaltung der Partei ein und bremste sie später. Die Macht des Generalsekretärs war gewaltig. Aber er war nicht allmächtig.
    Als ich Präsident geworden war, hatte ich mich einverstanden erklärt, den Posten des Generalsekretärs beizubehalten – obwohl die KPDSU immer offener zu einem Gegner der Perestrojka wurde. Es gab damals auch den Vorschlag, diesen Posten aufzugeben. Was das gebracht hätte, ist schwer zu sagen. Aber ich hätte wenigstens freie Hand gehabt und nicht unbedingt Politbüromitglieder und Kandidaten, die sich immer noch allein für berechtigt hielten, das Schicksal unseres Landes zu lösen, auf wichtigen Staatsposten belassen müssen.
    Hinter alldem stand auch eine objektive Schwäche. Ein Ersatz für die KPDSU -Nomenklatur war in dieser kurzen Frist nicht zu finden. Woher sollte man die neuen Perestrojka-Kader nehmen? Die stalinistische Vergangenheit hatte das Hochkommen selbständig denkender Menschen in der Partei verhindert. Die Partei zu reformieren, die KPDSU zu spalten, wie manche rieten, oder die reinen Perestrojka-Anhänger aus ihr herauszufiltern, war nicht so einfach; obwohl die Entwicklung objektiv in diese Richtung ging, aber sie wurde leider vom rasanten Gang der Ereignisse in unserem Land überholt.
    Das Januarplenum des Jahres 1987 ist mir auch deshalb in Erinnerung geblieben, weil damals zum ersten Mal die Widersprüche in Bezug auf die Frage der Glasnost an die Oberfläche drangen. Iwan Poloskow, der Sekretär des Kreisparteikomitees von Krasnodar, sagte »das Notwendige« und fuhr dann fort: »Was liest die heutige Jugend gern? Welche Werke begeistern den Spießbürger?
Der Brand
,
Der Richtplatz, Der traurige Detektiv
und so weiter. Das Gleiche im Theater. Dort werden, ebenso wie in den Zeitschriften, akribisch unsere Wunden offengelegt. Kein Wunder, dass sich Verzweiflung in der Seele breitmacht! … Die negative Darstellung der Wirklichkeit ist beinahe zur einzigen Methode geworden, dabei sollte man die Ideale bestärken! Ist es nicht an der Zeit, dass wir uns damit gründlich auseinandersetzen?«
    Die bekannte Weberin Valentina Golubewa, zweifache »Heldin der Sozialistischen Arbeit«, sagte: »Ich meine, die bloße Kritik und das Aufspüren von Mängeln ziehen sich schon viel zu lange hin. Wir müssen ganz deutlich unterscheiden zwischen interessierter, konstruktiver Kritik und hohler, manchmal geradezu bösartiger Krittelei … Es muss alles mit Augenmaß geschehen, sonst besteht die Gefahr, dass wir ins andere Extrem verfallen.«
    Glasnost wurde, wie zu erwarten war, das erste Schlachtfeld des Kampfes um die Freiheit. Und es fanden sich ZK -Mitglieder, die »den Handschuh aufnahmen«. Der meiner Ansicht nach vom Inhalt wie auch von der emotionalen Färbung her stärkste Auftritt war der unseres mittlerweile schon verstorbenen großen Künstlers Michail Uljanow:
    »In unser gesellschaftliches Leben wird das Allerwichtigste eingeführt – Glasnost, Demokratie, Selbstverwaltung. Ich glaube, dass diese drei Säulen, wenn wir sie nicht abschleifen, glätten und schmälern, die gewaltigen Probleme lösen können, die unser Volk und die Partei heute haben. Glasnost ist ungeschliffen und ungeglättet, demokratische Gesinnung von oben bis unten, Selbstverwaltung, an der das Volk teilhat. Die Zeit der Rädchen ist vorbei, und das ist wunderbar. Die Zeit des Volkes, das seinen Staat selbst lenkt, ist gekommen.«
    Das Plenum billigte mein Referat, schloss sich der Einschätzung der Gründe für die Krise der siebziger und achtziger Jahre an, unterstützte die Idee der Demokratisierung und den Vorschlag für eine Parteikonferenz. Doch es wurde auch deutlicher, dass viele ZK -Mitglieder nicht zu der Wendung bereit waren, die das

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