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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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Produktionsrückgang in den Bereichen Maschinenbau, Metallurgie und Chemie gekommen. Wieder war die Erfüllung des Plans gefährdet. Dennoch gelang es, den Fehler zu lokalisieren, und noch zwei weitere Jahre konnte die Volkswirtschaft vor dem Abgleiten in die Krise bewahrt werden. Doch das war ein Signal dafür, dass die Reformmaßnahmen eindeutig zu schwach waren. Die Finanzspritzen für den Maschinenbau, die Elektronik und andere Wirtschaftszweige zeigten nicht das erwartete Ergebnis. Die Einführung neuer Technologien zog sich hin. Die Ministerien bestanden auf ihren angestammten Rechten und wollten sie nicht mit den Betrieben teilen. Unsere Bemühungen verliefen im Sande.
    Unter dem Einfluss der aktuellen Situation zu Anfang des Jahres 1987 beschlossen wir, eine Plenartagung zur Wirtschaft anzusetzen und die gesamte Konzeption der ökonomischen Reformen zu überprüfen. Im Februar wurde das »Betriebsgesetz« veröffentlicht, das demokratische Leitungsformen vorsah. Es sollte die tragende Säule des neuen Wirtschaftssystems sein. Der Gesetzesentwurf wurde von den Arbeitskollektiven begeistert unterstützt. Aber er entstand in heftigen Kämpfen. Man einigte sich darauf, dass es ein Gesetz geben müsse, das die prinzipiellen Fragen löst, und zusätzlich Entwürfe konkreter Regierungsverordnungen.
    Früher verliefen die Diskussionen zwischen den Anhängern und den Gegnern autoritärer Lösungen, jetzt ging es um die Frage, wie weit die Reformen des Wirtschaftssystems gehen sollten. Der Widerstand der Ministerien und Ämter, vor allem der Staatlichen Planungskommission, des Staatskomitees für die materialtechnische Versorgung, des Finanzministeriums und des Regierungsapparats traf sich mit dem der Parteibürokratie. Zwar trat keiner offen gegen die Reformen auf, aber es wurden halbherzige Lösungen vorgeschlagen, die immer ein Hintertürchen für den Rückzug offen ließen.
    Ich sah, wie Ryschkow von seinen ehemaligen Kollegen unter Druck gesetzt wurde. Sie rieben ihm ständig unter die Nase, von der Regierung werde eine effiziente Leitung der Volkswirtschaft gefordert und gleichzeitig nehme man ihr die Hebel dafür weg. Das machte ihn manchmal unsicher und inkonsequent.
    Am 3 . April, bei der ersten Beratung der Thesen für die Plenartagung im Juni 1987 , kam es zu einer ersten Auseinandersetzung. Der Meinungsaustausch dauerte vier Stunden und war absolut offen. Ryschkow pochte darauf, dass unsere Reformen im Rahmen des Sozialismus blieben. Ich konterte: »Die Reformen müssen sich im Rahmen des Sozialismus halten, aber nicht in dem Rahmen, der die Gesellschaft fesselt und die Initiative der Menschen erstickt.«
    Anfang Mai wurden die Thesen zur Diskussion an das Politbüro geschickt. Zum ersten Mal war darin von einer herannahenden Krise die Rede, obwohl ich dieses Wort dort noch vermied. Zwar solle sich die Perestrojka der Wirtschaft im sozialistischen Rahmen halten, aber es müsse zugleich gefragt werden, wie weit die Züge des Modells, das im Wesentlichen aus den dreißiger Jahren stamme, diesem Begriff überhaupt entsprächen. Die Verstaatlichung des Eigentums, die Unterschätzung kooperativer und individueller Arbeitsformen, die Gleichsetzung von Plan und Zentralismus, die Verteufelung demokratischer Lenkungsformen und der Selbstverwaltung wurden heftig kritisiert. Stattdessen wurde ein neues Modell zugrunde gelegt, nach dem ein Betrieb als »sozialistischer Warenproduzent« zu verstehen sei, der sich selbständig lenkt. Auch die »Philosophie« der Planung änderte sich: Statt Direktiven vorzugeben, sollten vom Plan nur Empfehlungen ausgesprochen und Prognosen aufgestellt werden. Im Mittelpunkt der Reform stand eine neue Preisbildungspolitik, die Marktmechanismen mit staatlicher Regulierung verbinden sollte.
    Am 14 . Mai fand die Politbürositzung statt, auf der die Thesen ausführlich diskutiert wurden. Es kam zu keinen nennenswerten Einwänden. Im Verlauf der im Mai und im Juni im Politbüro stattfindenden weiteren Diskussion über die Wirtschaftsreform aber erfüllten sich meine Erwartungen bei weitem nicht: Die Differenzen wurden von Sitzung zu Sitzung größer. Und als die Rede auf die Eingriffe in die Arbeit der Regierung, der Republikorgane, Ministerien und Ämter kam, erreichte die Polemik ihren Höhepunkt. Vehement verteidigte Ryschkow die Interessen der Führung des Staatsapparats. Auf die Frage, welche Funktionen die Ministerien unter den neuen Bedingungen aus der Hand zu geben bereit seien,

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