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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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    Ich hatte die in der Welt herrschende Stimmung richtig erkannt und so den Prozess der Veränderungen gerettet. Außenminister Shultz, der gleichzeitig auf dem Militärstützpunkt eine Pressekonferenz abhielt, erklärte die Verhandlungen in Reykjavik für gescheitert. Als er aber in die USA zurückgekehrt war und von meiner Einschätzung erfuhr, orientierte er sich um und sprach ebenfalls von einem Durchbruch. Reykjavik hatte gezeigt, dass die Sowjetunion wirklich an der Abrüstung interessiert und verhandlungsbereit war. (Als George Shultz kürzlich in Moskau war, trafen wir uns. Wir unterhielten uns einige Stunden, erinnerten uns an Reykjavik. Er sagte, er habe damals in der Bewertung von Reykjavik einen Fehler begangen.)
    Ein Jahr später, am 8 . Dezember 1987 , unterzeichneten wir das sowjetisch-amerikanische Abkommen über die vollständige Abschaffung der landgestützten nuklearen Mittelstreckenwaffen. Das war das erste Abkommen über die Vernichtung eines ganzen Typs nuklearer Waffen. Die Bedeutung dieses Schrittes kann kaum überschätzt werden.
    Aber man darf auch das verantwortungslose Gerede nicht unerwähnt lassen, das es noch heute gibt und mit dem man die öffentliche Meinung an der Nase herumführen will: Gorbatschow hätte schnell unterschrieben, was man ihm hingeschoben habe – und schon sei die Entscheidung da gewesen. Das sagen Leute, die absolut keine Ahnung davon haben, wie die Entscheidungen getroffen, wie alle Details ausgearbeitet, alle Nuancen berücksichtigt wurden. Und heute denke ich: Vielleicht ist es umgekehrt – vielleicht sind das Leute, die sich auskennen. Die große Masse kennt die Details nicht. Ihr kann man allen möglichen Blödsinn aufbinden.
    Es war eine überaus schwere Arbeit und ein Kampf, in dessen Zentrum natürlich die Interessen das Landes und die Erhaltung des Friedens standen. Vor kurzem ist ein in unserem Fond erarbeitetes Buch über die Außenpolitik während der Perestrojka erschienen. Es beruht auf Faktenmaterial und enthält ein Interview aus dem Jahr 2000 mit Witalij Katajew, der im ZK arbeitete und mit Verteidigungsfragen befasst war. Er beschreibt die ganze Abrüstungssituation: den Kampf zwischen den Behörden – dem KGB , dem Außenministerium und dem Verteidigungsministerium – und die Entstehung der Sajkow-Kommission (die nach seinen Worten geniale Erfindung der »großen fünf«).
    Wenn du, der Führer des Landes, die Situation also kennst und weißt, dass eine Pershing- 2 bis Minsk zwei, bis Moskau drei und bis zur Wolga fünf Flugminuten braucht, dann begreifst du, dass das die »Pistole an der Schläfe des Landes« ist. Dann bist du entschlossen, alles zu tun, um diese Bedrohung abzuwenden, sie auszuschließen.
    Bald nach Reykjavik traf ich mit Teilnehmern des Issyk-Kul-Forums zusammen, das auf Initiative des hervorragenden Schriftstellers Tschingis Aitmatow zustande gekommen war. Das Issyk-Kul-Forum bewegte mich bei dem Treffen mit den Teilnehmern zu zwei wichtigen Erklärungen. Damals sagte ich Folgendes:
    »Erstens: Eine Politik, die nicht vom Nachdenken über menschliche Schicksale geleitet wird, ist eine amoralische Politik, sie verdient keinen Respekt. Daher teile ich den Gedanken, der bei Ihren Auftritten zum Ausdruck kam, den Gedanken der notwendigen Zusammenarbeit von Politikern und Vertretern der zeitgenössischen Kultur und des ständigen Meinungsaustauschs. Man muss die Zivilisation – bei allen Schwierigkeiten und Widersprüchlichkeiten – für das Leben, für den Menschen bewahren.
    Zweitens: Es gibt ein Klasseninteresse, ein nationales Interesse, es gibt Gruppeninteressen, Firmeninteressen – aber es gibt auch allgemeinmenschliche Interessen. Wir müssen ihnen Priorität einräumen, weil es angesichts der atomaren Bedrohung und der globalen ökologischen Krise um das Leben des Menschengeschlechts geht.«
    Darüber habe ich bereits gesprochen, und ich wiederhole und bekräftige mein Bekenntnis zu diesen Schlussfolgerungen.
    Ja, Reykjavik und die darauf folgende Vereinbarung über die Liquidierung einer ganzen Klasse von Atomraketen sind das größte Ereignis der neueren Geschichte. Nicht nur weil sie den Grundstein zur Reduktion von Nuklearwaffen gelegt haben, sondern auch deshalb, weil sie gezeigt haben, dass man sich selbst bei so komplizierten und diffizilen Fragen, bei so heiklen Problemen wie

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