Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
Nuklearwaffen einigen kann, wenn Vertrauen da ist und die moralische Verantwortung gegenüber den Menschen im Vordergrund steht.
Rückkehr ins Jahr 1986
Vieles, sehr vieles musste 1986 überlegt und entschieden werden. Und obwohl ich mit dem Thema Reykjavik schon auf das nächste Jahr vorgegriffen habe, kehre ich noch einmal ins Jahr 1986 zurück.
Einige Zeit nach meinem Treffen mit Präsident Reagan in Reykjavik reiste ich nach Indien. Und wie um die Stafette von Reykjavik weiterzutragen, unterzeichneten Rajiv Gandhi und ich am 27 . November 1986 die Deklaration von Delhi über die Prinzipien einer gewaltfreien Welt. Rajiv fühlte sich der Sache seines Großvaters Jawaharlal Nehru und seiner Mutter Indira Gandhi verpflichtet. Die Wiedergeburt Indiens wurde für ihn zum Sinn seines Lebens. In seiner kurzen Wirkungszeit erreichte er vieles: Er gab Impulse für die Prozesse, die in der heutigen Zeit Früchte tragen.
Aus der Nähe unserer Positionen erwuchs Vertrauen. Wir fühlten uns unsererseits verantwortlich, Indien bei der Lösung seiner nationalen Aufgaben behilflich zu sein. Aber wir spürten auch von indischer Seite eine enorme Unterstützung für unsere Initiativen in der Welt. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Rajiv Gandhi nach seiner Rückkehr von einer Konferenz der Commonwealth-Länder. Er war verblüfft, wie unverhohlen einflussreiche Kreise in Großbritannien ihre Ablehnung der von der Sowjetunion praktizierten Politik des neuen Denkens in internationalen Angelegenheiten äußerten. Die Deklaration von Delhi hingegen war ein echter Friedenspakt zwischen zwei großen Staaten; darin wurden eine Reihe von Prinzipien zum Bau einer neuen Welt verkündet:
Das menschliche Leben soll als höchstes Gut anerkannt werden.
Gewaltlosigkeit soll zur Grundlage für das Leben der menschlichen Gemeinschaft werden.
Das Recht jedes Staates auf politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit soll anerkannt und respektiert werden.
An die Stelle des »Gleichgewichts des Schreckens« soll eine umfassende internationale Sicherheit treten.
Ich war damals ebenso wie heute der Meinung, dass die Deklaration von Delhi ein eminent wichtiges Dokument ist, dessen Bedeutung sich nicht auf den historischen Moment beschränkt.
Im Mai 1986 besuchte der spanische Premierminister Felipe Gonzalez die Sowjetunion. Wir führten damals ein Gespräch, das den Grundstein zu einem für mich – und ich glaube, für uns beide – wichtigen Dialog legte. In der Folge kehrte ich mehrmals zu unserer damaligen mehrstündigen Unterhaltung zurück. In Gonzalez sah ich den Vertreter einer neuen Generation von Führern der Sozialistischen Internationale, einen echten Demokraten. Das bestimmte auch den Charakter unserer Beziehungen.
Ein paar Erinnerungen anderer Art. Raissa hatte in Reykjavik ihr eigenes Programm. Sie reiste durch Island und erzählte mir viel von ihren Eindrücken. Sie sah die Geysire und Bauernhäuser. Man zeigte ihr in der kleinen Stadt Reykjavik alles, was sie interessierte. In Island werden Schriftstücke aufbewahrt, die im 12 . Jahrhundert verfasst wurden, und die Isländer haben noch heute dieselbe Sprache wie damals.
Was mich am meisten verwunderte, war die Zahl der Häftlinge in Island. Im Gefängnis von Reykjavik gab es während unseres Aufenthalts nur einen einzigen Häftling. Er verbrachte den Tag bei seiner Familie und arbeitete, nur nachts ging er ins Gefängnis und saß sein Strafmaß ab. Erstaunlich war auch der ständige Wetterwechsel in diesem Land. Es wechselte buchstäblich alle 30 Minuten. Der Wind bestimmte alles, das Land ist eben eine Insel und hat Inselklima mit wechselhaftem Wetter.
Ich sagte zu Raissa: »Weißt du, woran mich das erinnert?«
»An welches Land?«
»Nein, nicht an ein Land. Es erinnert mich an den Charakter einer Frau.«
»Willst du mir damit Vorwürfe machen?«
»Nein, ich meine die Frauen allgemein. Und zu denen gehörst du natürlich auch.«
Reagan und ich trafen uns nach Reykjavik noch zweimal: 1987 in Washington, wo wir das sowjetisch-amerikanische Abkommen über die vollständige Abschaffung der landgestützten nuklearen Mittelstreckenwaffen unterzeichneten, und 1988 in Moskau, wo wir am 1 . Juni die Ratifizierungsurkunden des INF -Vertrags feierlich austauschten. Damit war die Grundlage für die Politik gelegt, die zum Ende des Kalten Krieges führte.
14 . Kapitel
Differenzen um die Wirtschaftsreformen
Das Jahr 1987 begann schlecht. Es war zu einem
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