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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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werden. Das würde große Reduktionen nach sich ziehen. Präsident Reagan kam, offen gestanden, nach Reykjavik, um den Ruhm für sich einzustreichen.
    Das Treffen begann mit unserem Gespräch unter vier Augen. Wir tauschten unsere Ansichten über die Situation aus, und dann unterbreitete ich meine Vorschläge. Er war nicht bereit dazu, und, das sage ich ganz offen, er war verwirrt (ich spreche zum ersten Mal darüber). Angesichts der Situation schlug ich vor, Schewardnadse und Shultz hinzuzuziehen. Dank ihrer Teilnahme ging die Arbeit im Weiteren geschäftsmäßig vonstatten. Später kamen noch Marschall Achromejew und einige Experten hinzu.
    Wir versuchten, den Stillstand im Abrüstungsprozess zu überwinden: Wir stimmten zu, die strategischen landgestützten Raketen zu reduzieren, aber nicht ohne Entschädigung: Im Gegenzug sollten die USA ihre Atom-U-Boote und Atom-Luftstreitkräfte halbieren, in denen sie uns überlegen waren. Die Amerikaner rechneten damit, uns mit dem Problem der Kontrolle in die Enge zu treiben. Sie glaubten, wir würden uns nicht auf die strengen Regeln einlassen. Doch sie täuschten sich.
    In Reykjavik kamen damals Shakespeare’sche Leidenschaften zum Ausbruch. Die Delegationen und Experten gingen zu Pausen auseinander und kamen dann wieder zusammen. In allen Fragen maßen sie ihre Positionen ab und koordinierten sie. Man war, wie man so sagt, nur noch einen Schritt entfernt vom triumphalen Schluss.
    Aber wieder scheiterte unser Vorschlag am amerikanischen Programm der weltraumgestützten Raketenabwehr ( SDI ). Die Verhandlungen gerieten in eine Sackgasse und erhielten einen seltsamen Anstrich. Reagan begann schlichtweg zu feilschen: Wenn ihr mir entgegenkommt, werdet ihr merken, wie viel Amerika in der Zusammenarbeit mit eurem Land machen kann. Ich hingegen versuchte ihm zu suggerieren, dass er nur noch einen Schritt davon entfernt sei, als derjenige Präsident in die Geschichte einzugehen, der den Frieden gebracht hatte. »Doch«, so wiederholte ich, »wenn es um die Sicherheit geht, kann ich von Ihnen nicht verlangen, Ihre Zustimmung zu etwas zu geben, was für die Vereinigten Staaten weniger Sicherheit bedeuten würde, und Sie als Präsident haben umgekehrt kein Recht, von mir etwas Ähnliches in Bezug auf mein eigenes Land zu verlangen.«
    Das Treffen war zu Ende, wir trennten uns. Es dämmerte schon. Die Stimmung war auf dem Nullpunkt. Reagan schleuderte mir einen Vorwurf entgegen: »Sie hatten von Anfang an die Absicht, hierherzukommen und mich in diese Situation zu bringen!«
    »Nein, Herr Präsident, ich bin bereit, auf der Stelle ins Haus zurückzukehren und das Dokument zu den Fragen zu unterzeichnen, über die wir bereits Einigkeit erzielt haben, wenn Sie von Ihren Plänen der Militarisierung des Kosmos Abstand nehmen.«
    »Es tut mir außerordentlich leid«, antwortete Reagan …
    Wir trennten uns. Reagan fuhr auf seinen Militärstützpunkt, von wo er nach Hause flog, während mich in 40  Minuten eine Pressekonferenz erwartete. Ich dachte an die Hauptsache – was ich der Presse, der ganzen Welt überbringen sollte.
    Die Pressekonferenz fand in einer Flugzeughalle statt, in der tausend Menschen Platz hatten. Auf dem Weg von dem Haus, in dem die Verhandlungen stattgefunden hatten, zu dem Hangar, wo mich die Journalisten erwarteten, überlegte ich fieberhaft. Ein Gedanke ließ mich nicht los: Wir hatten uns doch immerhin auf eine Reduzierung der strategischen und der Mittelstreckenraketen geeinigt. Das war doch eine neue Situation! Sollte ich all das aufs Spiel setzen? Eine innere Stimme sagte mir, ich sollte mich von dem Misserfolg nicht unterkriegen lassen.
    Als ich eintrat, erhoben sich alle schweigend. Die Stimmung war unruhig. Ich sah Hunderte von Augen und war erschüttert. Es kam mir vor, als stünde das ganze Menschengeschlecht vor mir. In diesem Augenblick verstand ich auf einmal, was geschehen war und was ich sagen musste. Ich will aus meiner Ansprache nur die wichtigste Aussage zitieren: »Trotz aller Dramatik ist Reykjavik keine Niederlage, sondern ein Durchbruch. Wir sind über einen wichtigen Punkt hinausgekommen.« Der Saal erwachte aus seiner Erstarrung, es gab stürmischen Beifall. Alle sprangen auf. Einer der Journalisten schrieb später: »Als der Generalsekretär das Scheitern von Reykjavik als Sieg darstellte, blickte Raissa Gorbatschowa begeistert auf ihren Mann, und über ihr Gesicht rannen Tränen.«
    Pressekonferenz in Reykjavik, 12 . Oktober 1986 :

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