Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
Kompetenz sein.
Die Konferenz empfahl konkrete Zeitpunkte für Gesetzesmaßnahmen, die demokratische Neuerungen in die Verfassung der UDSSR einbringen sollten. Das Wahlsystem sollte geändert und auf das Prinzip alternativer Kandidaten umgestellt werden. Die Aktualität der Schaffung eines Rechtsstaats und einer Rechts- und Gerichtsreform wurde anerkannt. Unterstrichen wurden auch die Notwendigkeit einer radikalen Wirtschaftsreform, der Erneuerung aller wirtschaftlichen Mechanismen und eine radikale Perestrojka der Wirtschaftsbeziehungen im Dorf.
Durch all diese Maßnahmen öffneten sich Möglichkeiten für eine aktive politische Betätigung ganz neuer Schichten von Bürgern, ja für ganze Generationen, die bisher außerhalb der Politik standen und ihr entfremdet waren. Auch legale Möglichkeiten, unabhängige Oppositionsparteien zu gründen, wurden eingerichtet.
Der Eintritt neuer Menschen in die Politik änderte das Bild. Die Entstehung neuer Clubs und Volksfronten zur Unterstützung der Perestrojka, all das stärkte die Position der Befürworter der Demokratisierung und den Widerstand gegen die Konservativen. Doch auch etwas anderes wurde immer offenbarer: Die Unerfahrenheit vieler politischer Neulinge ließ sie oft zu Bolschewiki mit umgekehrtem Vorzeichen werden: zu ungeduldigen, maximalistischen Radikalen, die um eigener Vorteile willen das »kommunistische Regime« um jeden Preis stürzen wollten. Das durchschauten viele allerdings erst entschieden später …
Die reale Demokratisierung der Gesellschaft und des Staates war die schwierigste Prüfung für die KPDSU . Leider hatte ein großer Teil der Parteifunktionäre im Laufe des jahrzehntelangen Machtmonopols die Fähigkeit eingebüßt (oder hatte sie nie besessen), eine politische, ideologische und organisatorische Arbeit ohne die Rückendeckung staatlich-administrativer Ressourcen durchzuführen. Immer wieder wurden bei den Plenartagungen Forderungen laut, die Autorität der Parteiorgane durch rechtliche Instrumente zu untermauern. Das endete damit, dass die Mehrheit der Parteispitze – oder zumindest ein beträchtlicher Teil – sich am Augustputsch beteiligen sollte. Doch dazu später.
15 . Kapitel
Die Charta des neuen Denkens vor der UNO
Trotz aller Schwierigkeiten und großen Probleme, mit denen die Perestrojka in unserem Land zu kämpfen hatte, stieß sie allmählich auf immer mehr Verständnis und Vertrauen in der Welt. In diesem Sinn war das Jahr 1988 ein Meilenstein. Im Februar erklärte ich, die UDSSR beabsichtige, ab dem 15 . Mai ihre Truppen innerhalb von zehn Monaten aus Afghanistan abzuziehen. Diese Absicht wurde wenig später in Genf auch durch ein offizielles Abkommen zwischen Afghanistan, der UDSSR und Pakistan besiegelt.
Ende Mai fand der offizielle Besuch von Reagan bei uns statt, von dem ich bereits erzählt habe. Im Oktober besuchte uns Bundeskanzler Kohl. Dieses Treffen öffnete ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen unseren Ländern …
Mit Ronald Reagan auf dem Roten Platz, Mai/Juni 1988
Helmut Kohl in Moskau; 24 . Oktober 1988
Öffentliche Unterstützung für die Perestrojka bekamen wir auch während eines Besuchs des französischen Präsidenten Mitterrand. Übrigens feierte auch die Generalversammlung der UNESCO in Paris das tausendjährige Jubiläum der Christianisierung Russlands als großes Ereignis der Geschichte und Kultur Europas und der Welt. Nach der großen offiziellen Feier in der Sowjetunion bildeten sich viele neue Kirchengemeinden, und die Kirchen wurden wieder aufgebaut. Vertreter aller Konfessionen beteiligten sich an der Ausarbeitung des Gesetzes über die Gewissensfreiheit und die religiösen Organisationen. Die Kirche wurde zu einer gesellschaftlichen Institution mit allen Rechten, beteiligte sich an der geistlich-moralischen Erziehung und ging einer wohltätigen und friedlichen Tätigkeit nach.
In der zweiten Novemberhälfte reiste ich zum zweiten Mal nach Indien. Mit Rajiv Gandhi verkehrte ich bereits auf freundschaftlichem Fuße, wie zuverlässige politische Partner. Wir hatten gemeinsam die Deklaration von Delhi verabschiedet, die beide Länder seither in die Praxis umzusetzen versuchten. Bei den Gesprächen im November ging es vor allem um die wichtige Frage der Beziehungen zu China. Sowohl Rajiv als auch ich gingen davon aus, dass es an der Zeit war, eine Verbesserung der Beziehungen zur Volksrepublik anzustreben, dass man alles tun musste, damit China keinen Grund hatte, die
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