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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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und Streit in der Führung zu verhindern und stattdessen alle Bemühungen auf eine Konsolidierung der Gesellschaft und die Einbeziehung großer Schichten von Bürgern in die Prozesse der gesellschaftlichen Selbstheilung und Erneuerung zu konzentrieren. Das war für mich der Sinn der 19 . Parteikonferenz.
    Das öffentliche Interesse an der Konferenz war groß. Die Leute wollten wissen, was an der Spitze vor sich ging, was man dort vorhatte und wohin unser Land geführt werden sollte. Die Thesen des ZK für die Konferenz wurden rechtzeitig vorher in der
Prawda
veröffentlicht. Genauso wie die Wahlen der Delegierten für die Konferenz wurden sie von allen Medien lebhaft diskutiert. Übrigens musste ich damals in der Moskauer Parteiführung viele dazu bewegen, ihre Voreingenommenheit und Unduldsamkeit gegenüber einigen Teilnehmern der Konferenz, wie dem Historiker Jurij Afanasjew oder dem Dramatiker Alexander Gelman, aufzugeben.
    Die Diskussion verlief sehr stürmisch. Die Delegierten drängten auf die Tribüne. Unter donnerndem Applaus der Konservativen verglich der bekannte Schriftsteller Bondarew die Perestrojka mit einem »Flugzeug, das gestartet sei, aber wir wissen nicht, wo es landen soll«. Die Rede des ihm widersprechenden Schriftstellers Grigorij Baklanow wurde »niedergeklatscht« und »niedergetrampelt«. Als Anführer der Kritik an der Parteileitung vonseiten der sogenannten »linken« Radikalen trat Jelzin auf. Er gebärdete sich als radikalster Gegner des »Führerkults« und als entschiedenster Anhänger echter Demokratie. Er forderte, dass die »seit zehn bis fünfzehn Jahren im Politbüro Sitzenden«, die den kranken Tschernenko zum Generalsekretär gemacht und die Partei und unser Land in die jetzige Krise geführt hätten, zur Verantwortung gezogen würden. Er forderte, den bürokratischen Apparat im Zentrum und in Moskau, wo noch immer die Mafia säße, erheblich zu reduzieren.
    Besonders heftig war die Reaktion auf Jelzins Erklärung, die soziale Ungerechtigkeit müsse beseitigt, Privilegien, Sonderzuteilungen, Spezialkrankenhäuser und Spezialsanatorien müssten abgeschafft werden. »So muss es sein«, verkündete der künftige »Zar Boris« unter donnerndem Applaus, »wenn es in der sozialistischen Gesellschaft an etwas mangelt, dann muss ausnahmslos jeder diesen Mangel zu spüren bekommen.« [39]
    In einer Pause zwischen den Sitzungen der 19 . Parteikonferenz vom 28 . Juni bis 1 . Juli 1988
    Quelle: W. Christoforow
    Abschließend bat Jelzin darum, »ihn noch zu Lebzeiten zu rehabilitieren« und die bekannte Resolution der Plenartagung des ZK vom Oktober als unbegründet aufzuheben. Jelzins Auftritt wurde von der radikalen Intelligenzija in Moskau, Leningrad und Swerdlowsk als Ausdruck seiner Bereitschaft verstanden, auf dem Höhepunkt des Kampfes gegen die Parteibürokraten in die große Politik zurückzukehren, um für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen.
    Die Konferenz ließ also eine Konsolidierung der Kritiker und Opponenten sowohl im konservativen Nomenklatur-Lager als auch in linksradikalen Kreisen erkennen. Trotzdem sehe ich den Hauptsinn der Konferenz darin, dass sie insgesamt die Parteileitung bestärkte und die Partei auf den Kurs einer grundlegenden politischen Reform des Landes brachte. Es wurde der Beschluss verabschiedet, zur Fortführung und Vertiefung der Perestrojka freie Wahlen der Machtorgane aller Niveaus einzuführen. Auch die Teilung der Funktionen von Partei und Räten erhielt die Zustimmung der Konferenz. Auf diese Weise war die Grundlage zur Aufhebung des KPDSU -Monopols auf die Macht geschaffen, die auf die frei zu wählenden Räte übergehen sollte.
    Die Beschlüsse der Konferenz sollten die Losung »Alle Macht den Räten« zur Realität werden lassen. Die Partei hatte in Wirklichkeit ja nie einen Regierungsauftrag vom Volk erhalten, sie hatte diese Funktionen selbst übernommen und sie dann monopolisiert. In den Resolutionen hieß es: »Die Partei wird in Zukunft nie mehr eine Wiederholung dessen zulassen, was in der Zeit des Personenkults und der Stagnation geschah.«
    Aufgrund der Beschlüsse der Konferenz verjüngte sich das Politbüro. Solomenzew, Demitschew, Dolgich und andere gingen in Pension. Der Parteiapparat wurde reduziert und umorganisiert. Das Sekretariat des ZK und seine wirtschaftlichen Abteilungen wurden mit Ausnahme der Abteilung für Agrarwirtschaft aufgelöst. Kriterium für den Aufstieg in der Partei sollte in Zukunft nicht Position, sondern

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