Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
nicht ganz durchgesetzt.)
Die Weltwirtschaft wächst zu einem Organismus zusammen, außerhalb dessen sich kein einziger Staat, und sei er wirtschaftlich noch so stark, normal entwickeln kann.
Das macht die Ausarbeitung eines prinzipiell neuen Mechanismus nötig, wie diese Weltwirtschaft funktionieren soll. (Wie sehr ich damit recht hatte, hat die weitweite Wirtschaftskrise des Jahres 2008 / 2009 gezeigt.)
Das Prinzip der freien Wahl von System und Lebensweise ist die legitime Bedingung für die Einheit der Welt in ihrer Vielfalt.
Eine Entideologisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen ist die heutige Schlussfolgerung aus der früheren Erfahrung schwerer Konfrontationen. Die Vorteile des eigenen Systems, der eigenen Lebensweise und der eigenen Ideologie stellt jeder durch Worte, Propaganda und reale Details unter Beweis und nicht durch Gewalt.
Die Realitäten der heutigen Welt fordern eine Dynamisierung und Internationalisierung des politischen Dialogs und der Verhandlungsprozesse, also eine Demokratisierung der internationalen Beziehungen.
Die UNO ist die einzige Organisation, die imstande ist, die Interessen unterschiedlicher Staaten und ihre bilateralen, regionalen und allgemeinen Bemühungen auszubalancieren.
Indem wir für die Entmilitarisierung der internationalen Beziehungen eintreten, bauen wir auf politische und rechtliche Methoden der Lösung auftauchender Probleme. Unser Ideal ist eine Weltgemeinschaft von Rechtsstaaten, die auch ihre außenpolitische Aktivität dem Recht unterordnen.
Die Annahme der Vielfältigkeit der Welt macht Versuche, auf die anderen von oben herabzusehen und ihnen »Demokratie« beizubringen, unhaltbar. (Das könnte auch gestern oder heute gesagt worden sein.)
Ohne sorgfältige Lenkung, immer nur spontan handelnd, geraten wir in eine Sackgasse. Die Weltgemeinschaft muss lernen, die Prozesse so zu gestalten und zu steuern, dass die Zivilisation bewahrt wird, sie für alle sicher ist und das normale Leben angenehmer wird.
Zum Abschluss meiner Rede teilte ich der Generalversammlung der UNO die konkreten Schritte zur Reduktion unserer Streitkräfte und Waffen mit, nämlich den Abzug der sowjetischen Truppen aus den Ländern des Warschauer Paktes: der DDR , Ungarn und der Tschechoslowakei. Desgleichen berichtete ich von der Liberalisierung von Auslandsreisen für die sowjetischen Bürger. Für viele war das eine Sensation.
Die Generalversammlung folgte meiner Rede äußerst aufmerksam und applaudierte stürmisch. In einem Redaktionsartikel der
New York Times
hieß es: »Seit 1918 , als Woodrow Wilson sein Vierzehn-Punkte-Programm verkündete, und 1941 , als Franklin Roosevelt und Winston Churchill die Atlanta-Charta vorlegten, hat kein Weltpolitiker mehr eine solche Weltsicht gezeigt wie Michail Gorbatschow in der UNO .« Auch viele andere Presseorgane der Welt reagierten positiv auf meine Rede.
Heute möchte ich besonders ein für die Welt sehr wichtiges »Echo« hervorheben, das allerdings erst mehr als zwanzig Jahre später kam. Ich meine die Rede des Präsidenten der USA Barack Obama von 2010 , in der er von notwendigen Veränderungen in der Strategie der USA sprach. Er erklärte, die USA könnten eine neue, auf diplomatischen Verpflichtungen beruhende Weltordnung nicht im Alleingang schaffen. Die Isolierung von der Weltgemeinschaft, so konstatierte der Präsident der USA , sei noch nie fruchtbar für sie gewesen, deswegen müssten die USA ihre bestehenden Allianzen stärken und nach neuen Partnern suchen. Vielleicht wirkt sich das auch auf die amerikanisch-russischen Beziehungen aus? In einer Anspielung auf Galileis berühmtes Zitat »Und sie dreht sich doch« hätte ich mit Blick auf das neue Denken sagen können: »Und es setzt sich doch durch!«
Alexej Lewinson: Die Einschätzung Gorbatschows im heutigen Russland (Ergebnisse einer Umfrage) [41]
… In Russland erinnern wir uns nicht, ob wir den Ersten Weltkrieg gewonnen haben oder nicht. Aber dass wir den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben, da sind wir uns sicher. Eine gewisse Zeit herrschte das bedrückende Gefühl, dass wir den Dritten verloren haben. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis Ende der achtziger Jahre, das heißt, eine ganze Generation über warteten die sowjetischen Menschen nicht gerade auf einen Krieg, lebten aber im Bewusstsein, der nächste Krieg komme bestimmt.
Der Zerfall des sowjetischen Blocks ist zweifellos eines der epochemachenden Ereignisse des 20 . Jahrhunderts. Die Gesellschaften der
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