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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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einem beträchtlichen Teil der Nomenklatur, von der radikaldemokratischen Interregionalen Demokratischen Gruppe und dem »Demokratischen Russland« angeheizt und am Kochen gehalten. Jelzins Gesandte nutzten die gerechtfertigten Forderungen der Bergarbeiter nach besseren Arbeitsbedingungen zynisch für ihre Politik aus. Im ganzen Land wurden Streiks vom Zaun gebrochen und der Rücktritt der Unionsregierung und des Präsidenten gefordert. Sogar die Metallurgie- und die Transportarbeiter streikten. Die Eisenbahnen fuhren nicht mehr, andere Transportwege wurden gesperrt, die Seehäfen blockiert. Züge und Schiffe mit Lebensmitteln, Konsumwaren und anderen für die Bevölkerung und die Volkswirtschaft unentbehrlichen Produkte standen still. Der ohnehin angegriffenen Wirtschaft wurde durch die Radikalen ein nicht wiedergutzumachender Schaden zugefügt. Bezeichnend war, dass der Beschluss der Regierung Ryschkow, dem es endlich gelang, einen Kompromiss mit den Bergleuten zu finden, von Jelzin böswillig abgewertet wurde, weil sich Ryschkow angeblich mit halbherzigen Maßnahmen begnügt hatte, statt entschlossen und ein für alle Mal »der Kommandowirtschaft das Rückgrat zu brechen«.
    Tausend informelle Vereinigungen unterschiedlichster politischer Orientierung meldeten sich zu Wort und kämpften »für« oder »gegen« die Perestrojka. In dieser Situation kam in der Partei und im Obersten Sowjet der Gedanke auf, das Amt eines Präsidenten einzurichten. Anfangs war ich der Meinung, dieses Amt vertrüge sich schlecht mit dem Rätesystem und lehnte ab. Aber die wachsende sozialpolitische Spannung und das faktische Mehrparteiensystem machten eine unverzügliche Festigung der Staatsmacht in Form einer exekutiven Präsidialmacht notwendig. Ein entsprechender Beschluss wurde im März 1990 vom Außerordentlichen Dritten Kongress der Volksdeputierten verabschiedet. Gleichzeitig wurde der 6 . Artikel der Verfassung der UDSSR , der das Machtmonopol der KPDSU verankerte, gestrichen. Auf diese Weise war nun ein Mehrparteiensystem von der Verfassung legalisiert. Das war ein großer prinzipieller Schritt der politischen Reform. Gegen diese Einrichtung eines Präsidialamtes und meine Wahl zum Präsidenten hatte sich übrigens wieder derselbe Block linker und rechter Radikaler ausgesprochen.
    Vereidigung zum Unionspräsidenten, 15 . März 1990
    Leider wurde das vom Kongress geschaffene Amt des Unionspräsidenten gleich durch die Einführung von Präsidenten in den einzelnen Unionsrepubliken geschwächt. Das entsprach keineswegs meinen Plänen und wurde, wie die Ereignisse zeigen sollten, auch prompt von den Gegnern der Union zur Unterminierung des ganzen Unionsstaates genutzt. Die Wahl des Unionspräsidenten auf dem Kongress statt im Rahmen einer allgemeinen, landesweiten Wahl ließ sich mit Blick auf die angespannte politische und sozialökonomische Lage nicht vermeiden, denn für einen langen Wahlkampf wäre keine Zeit gewesen. Schließlich hatte man auch den Dritten Volkskongress nicht ohne Grund als außerordentliche Sitzung einberufen. Für die Wahl des Präsidenten durch den Kongress sprach sich die absolute Mehrheit der Deputierten aus.
    Ein zweiter Schwachpunkt war, dass die Funktionen des Unions-Ministerrats nicht geändert wurden und juristisch nicht klar von denen des Präsidenten abgegrenzt waren. Die Zeit reichte nicht aus, um eine leistungsfähige, judikative Gewalt und ein allgemeines, rechtsstaatliches System aufzubauen. All dies hätte langjährige Arbeit erfordert.
    Angesichts der wachsenden politischen Widersprüche, die sich durch die Verschleppung der radikalen Wirtschaftsreform noch verschärften, wollte ich die Kommunistische Partei auf dem 28 . Parteitag im Juli 1990 auf eine neue politische Plattform einschwören, um sie aus der Krise herauszuführen. Diese neue politische Plattform musste und sollte dem entstandenen Mehrparteiensystem und der pluralistischen Gesellschaft Rechnung tragen. In dieser Gesellschaft, die sich selbst, ihre Nachbarn und die ganze Welt mit neuen Augen betrachtete, konnte die Partei, wie ich meinte, einen zweiten Frühling erleben und positiven Einfluss nehmen, wenn sie sich auf die Werte des humanen demokratischen Sozialismus besann. Auf dieser Grundlage konnte sie die Zusammenarbeit mit allen konstruktiven gesellschaftlichen Kräften aufnehmen, so auch mit der Jugend und der Intelligenzija, die sie bisher durch ihren obsoleten Umgang mit den Menschen abgeschreckt hatte.
    Aber dem

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