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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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aggressiveren und im Intrigenspiel versierten Teil der Funktionäre im Zentrum und auf lokaler Ebene gefiel diese Aussicht überhaupt nicht. Sie strebten einen ganz anderen Ausweg an. Formal stimmten sie der neuen Plattform des 28 . Parteitags zu, strebten aber insgeheim und dann immer offener die Schwächung und Absetzung des Reformflügels im Politbüro an und bahnten sich so den Weg, durch Ausrufung des Notstands die »Ordnung« wiederherzustellen.
    Unabhängigkeitserklärungen und Krieg der Gesetze
    Das Ringen um die Perestrojka erreichte im Jahr 1990 eine neue Dimension, als es darum ging, politische Reformen auf der Ebene der Republiken und lokalen Machtorgane durchzusetzen. Wenn es auf der obersten, unionsweiten Ebene gelang, innerhalb rund eines Jahres einen realen parlamentarischen Mechanismus »zu entwerfen«, zu gestalten und zum ersten Mal in der Geschichte des Landes in Kraft zu setzen, erforderten die politischen Reformen in den Republiken eine mindestens ebenso große Kraftanstrengung. In diesem Zusammenhang kam meiner Meinung nach der Erfahrung aus der Arbeit im Kongress der Volksdeputierten und im Obersten Sowjet, mit allen positiven und negativen Aspekten, eine aktuelle Bedeutung zu. Umso mehr, als ein »Negativposten« wie die Passivität und Ratlosigkeit des Kongresses der Volksdeputierten angesichts der Verschwörung des Notstandskomitees im August 1991 eine der Ursachen dafür war, dass die Aktion dramatische Folgen für das ganze Land hatte.
    Nichtsdestotrotz bewiesen die ersten Unionskongresse und der neue Oberste Sowjet, dass eine positive Tätigkeit einer repräsentativen und legislativen Gewalt auf Unionsebene unter Beteiligung von Menschen unterschiedlicher politischer Anschauungen möglich ist. Damit meine ich insbesondere die Deputierten der Interregionalen Gruppe. Sie bildete eine separate politische Fraktion, die anfangs die Rolle einer ungewohnt scharfen, aber konstruktiven Opposition spielte. Unter der Losung »Alle Macht den Räten!«, wie der Akademiker Andrej Dmitrijewitsch Sacharow sie auslegte, sprach sich die Gruppe für radikale Veränderungen aus. Eine ganze Reihe der Deputierten waren berühmte Vertreter aus Wissenschaft und Kultur oder gesellschaftliche Aktivisten. Ihre Arbeit im Parlament, bei der Verfassung und Verabschiedung von Gesetzen war zweifellos hilfreich und vielversprechend.
    Meiner Meinung nach waren die Mehrheit der Interregionalen Gruppe ganz normale Menschen, mit denen man zusammenarbeiten konnte und musste, selbst wenn der eine oder andere »Ultrarevolutionär« und Opportunist unter ihnen waren. Der Tod Sacharows im Dezember 1989 wirkte sich äußerst negativ auf die Gruppe aus. Der Akademiker und Friedensnobelpreisträger Sacharow zeichnete sich nicht allein durch seinen scharfen Verstand, Selbstlosigkeit und Integrität aus. Trotz seiner politischen Romantik war er mit seiner Abneigung gegen Intrigen das Vorbild eines russischen und sowjetischen Demokraten. Name, Autorität und Tätigkeit Sacharows verliehen der Interregionalen Gruppe ein besonderes moralisches und politisches Gewicht.
    Nach seinem Tod setzte ein großer Teil der Mitglieder auf Jelzin als den »Rammbock« gegen die KPDSU , Gorbatschow, ja gegen die Perestrojka. Von da an nahm die Konfrontation im Kongress und im Obersten Sowjet zu, und es kam de facto zu einem Bündnis mit den Gegnern der Perestrojka im Parteiapparat. Unter der politischen Losung, die Regierung und den Präsidenten abzusetzen, wurde im ganzen Land zu verheerenden Massenstreiks aufgerufen.
    Diese politische Linie steigerte keineswegs das Ansehen der Interregionalen Gruppe, weder in den unionsweiten Organen der Macht noch in der KPDSU , geschweige denn im Reformflügel der Parteiführung. Die Gruppe zerfiel allmählich. Ihre radikalsten Aktivisten sammelten sich in einem Wählerblock und später in der Bewegung und Partei »Demokratisches Russland« um Jelzin. Indem die Bewegung »Demokratisches Russland« blind auf einen neuen »willensstarken« Führer als Alternative zu Gorbatschow setzte, wandelte sie sich letztlich von der Avantgarde der demokratischen Bewegung zum »Anhängsel« der neuen oligarchischen Macht, wie Gawriil Popow einmal treffend sagte. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die späte Erkenntnis Jurij Afanasjews, dass die »demokratischen Romantiker« in Wirklichkeit als Deckmantel für diejenigen im »Demokratischen Russland« benutzt wurden, die um der Macht willen an die Macht wollten.
    Bei den

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