Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
auseinanderjagen, indem er ihn von Panzern beschießen ließ – die Auflösung der verfassungsgebenden Versammlung durch die Bolschewiki anno 1918 war dagegen geradezu harmlos. Bis heute ist übrigens nicht klar, wie viele Menschen dabei umkamen. Man ließ sie schnell in Containern wegschaffen und begrub sie irgendwo. Jelzin fürchtete, er müsse sich dafür verantworten und schlug einen Kuhhandel vor: Wenn der ganze tragische Vorfall mit dem Beschuss des Parlaments nicht weiter untersucht werde, erlasse er eine Amnestie für die Putschisten von 1991 , denen gerade vom Obersten Gericht der Prozess gemacht wurde. Ein Kuhhandel par excellence.
Und was jetzt? Ich glaube nach wie vor, dass eine qualitativ neue Union Unabhängiger Staaten eine Chance hat, aber bis dahin ist es noch weit. Die Schaffung einer Zollunion zwischen Russland, Kasachstan, Weißrussland und anderen ist jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung.
Am 23 . Dezember 1991 übergab ich Jelzin in Gegenwart von Jakowlew die Präsidialunterlagen. Wir einigten uns darauf, dass der Unionsapparat am 30 . Dezember seine Tätigkeit einstellt.
Mit Jelzin, Korschakow und Jakowlew im Kreml; Dezember 1991
In diese Übergangsphase fiel folgende Episode: Bereits im Jahr 1990 hatten sowjetische Wissenschaftler und Archivare, die einer gemeinsamen sowjetisch-polnischen Kommission zur Untersuchung der sogenannten »weißen Flecke« in den Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Polen angehörten, Dokumente von Geleittruppen des NKWD entdeckt, die indirekt, aber eindeutig die unmittelbare Verantwortung Berijas, Merkulows und ihrer Helfershelfer für die Verbrechen in Katyn belegten.
Am 13 . April 1990 gab ich während des Staatsbesuchs des polnischen Präsidenten Wojziech Jaruzelski in Moskau eine öffentliche Erklärung ab über die von sowjetischen Historikern entdeckten Listen und anderen Archivmaterialien über Kriegsgefangene und Lagerinsassen in der UDSSR . Darin waren die Namen polnischer Bürger enthalten, die in den Jahren 1939 / 40 in den Lagern des NKWD interniert waren. In einer offiziellen Verlautbarung der TASS vom 13 . April 1990 brachte die sowjetische Seite ihr tiefes Bedauern über die tragischen Vorfälle zum Ausdruck und erklärte: »Die Tragödie von Katyn zählt zu den schwersten Verbrechen des Stalinismus.« Damals wurde von der Obersten Militärstaatsanwaltschaft unter der Nummer 159 eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet. Nach meinem Abtritt als Präsident der Union war es Jelzins Aufgabe, die Akte an die polnischen Behörden zu übergeben. Warum er dies erst mit einer Verzögerung von fast einem Jahr tat und überdies erklärte, die Dokumente seien erst unlängst entdeckt worden, sei dahingestellt.
Ein anderer Punkt, den ich erwähnen will, betrifft Jelzins fälschliche Behauptung, ich hätte im Arbeitsgespräch mit ihm eine »Riesenliste an Ansprüchen« auf Privilegien vorgelegt und einen besonderen Status der Immunität gefordert. Natürlich wurden bei dem Treffen Fragen berührt, die den Status des Unionspräsidenten nach der Niederlegung seiner Amtsverpflichtungen betrafen. Darunter auch die Frage meiner Bewachung als Träger von Staatsgeheimnissen. Völlig aus dem Zusammenhang gerissen, erklärte Jelzin daraufhin drohend, eine Immunität des Präsidenten nach dem Rücktritt käme gar nicht in Frage, »wenn Sie sich wegen irgendetwas schuldig fühlen, dann geben Sie das lieber zu, solange Sie noch Präsident sind«.
Auch ohne Immunitätsgarantie habe ich nunmehr gut 20 Jahre überstanden. Im Laufe dieser Jahre habe ich die verschiedensten Vorfälle erlebt: von der brüsken Forderung, binnen 24 Stunden die Wohnung und Datscha des Präsidenten zu räumen, bis hin zu Ausreiseverboten (leider auch zu dem Begräbnis meines Freundes Willy Brandt), von der Inszenierung eines Prozesses gegen die KPDSU und Gorbatschow nach dem Muster der Nürnberger Prozesse bis hin zur niederträchtigen Blockade durch Truppen und Verunglimpfung der Gorbatschow-Stiftung, dem Verbot öffentlicher Auftritte und der Veröffentlichung meiner Bücher. Ganz zu schweigen von der auf umgerechnet zwei Dollar geschrumpften Pension und unzähligen, mehr oder weniger heftigen Beschimpfungen seitens der alt-neuen russischen Nomenklatur und ihres »Führers«.
So sah die »Belowescher Zivilisation«, auf deren Ebene das Land herabsank, in der Wirklichkeit aus. Und da schreibt Jelzin doch allen Ernstes in seinen Memoiren: »Wir wollten den
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