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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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Präzedenzfall eines offenen, ungezwungenen und ruhigen Lebens für ein ehemaliges Staatsoberhaupt schaffen, und das haben wir auch getan, zum ersten Mal in der russischen Geschichte, trotz allem.« Was für ein »Präzedenzfall«, was für eine Innovation? Das ist die reinste Demagogie.
    In den letzten Tagen vor meinem Auszug aus dem Kreml telefonierte ich mit Kohl, Mitterrand, Major, Bush, Mulroney und meinen anderen politischen Partnern. Sie fragten mich nach meiner Meinung, meiner Einschätzung und meinen Prognosen für die Zukunft. Obwohl ich nach wie vor der Meinung war, dass die Ereignisse sich nicht in der Richtung entwickelten, die ich für richtig hielt, versicherte ich meinen Gesprächspartnern, ich werde alle Möglichkeiten ausschöpfen, um mich für die Lebensfähigkeit und Effizienz der Gemeinschaft einzusetzen. Das Schlimmste, so warnte ich, sei ein Fortschreiten der Desintegration. Das gelte es zu verhindern. Deshalb unterstrich ich die Notwendigkeit, dass der Westen die Gemeinschaft und besonders Russland unterstütze. Ich betonte die Aktualität der Finanz- und Lebensmittelhilfe.
    Die Gesprächspartner fragten nach meinen Plänen im Anschluss an den Kreml. Ich versicherte ihnen, dass ich mich nicht im Wald verstecken, mich nicht aus der Politik und dem öffentlichen Leben zurückziehen werde. Im Rahmen meiner Möglichkeiten wolle ich auch unter den neuen Bedingungen die demokratischen Reformen, die von der Perestrojka eingeleitet worden seien, unterstützen.
    Ich gebe zu: Die Aufmerksamkeit, Zusicherungen und guten Wünsche meiner alten Bekannten und Partner hoben meine nicht sonderlich gute Stimmung ein bisschen. Die Sorge um das Werk, das meine Gesinnungsgenossen und ich begonnen hatten, verließ mich nicht. Diese Sorge wurde nur durch die Überzeugung gemildert, dass ich alles getan hatte und weiter zu tun bereit war, was in meinen Kräften und Möglichkeiten stand, um das Land, die Gesellschaft und das Leben meiner Mitbürger zu erneuern.
    Als ich über den Inhalt meiner öffentlichen Abschiedsrede nachdachte, setzte ich mich über Ratschläge hinweg, die Gründer der Gemeinschaft ungeschoren zu lassen. Ich wollte den Gang und das Resultat der Ereignisse wirklichkeitsgetreu darstellen, das heißt, die Gefahr des Zerfalls des Staatswesens aufzeigen und die Notwendigkeit betonen, die Errungenschaften zu bewahren, die wir in den Jahren der Perestrojka erreicht hatten. Als ich am 25 . Dezember mit der Erklärung zur Niederlegung meines Präsidentenamts auftrat, stand ich zu meiner Ablehnung der Aufteilung des Landes und erklärte, ich werde alles tun, was in meinen Möglichkeiten steht, damit das Abkommen von Alma-Ata [48] zu einem wirklichen Konsens in der Gesellschaft führe und durch Reformen einen Ausweg aus der Krise weise.
    Fernsehansprache anlässlich der Niederlegung des Präsidentenamtes am 25 . Dezember 1991
    Das Vierteljahrhundert, das nun seit Beginn der Perestrojka vergangen ist, gibt mir alles Recht zu erklären: Auch heute noch bin ich von der historischen Richtigkeit der demokratischen Reformen, die wir im Frühjahr 1985 einleiteten, überzeugt. Die Jahre, die seitdem vergangen sind, bestätigen nicht nur die historische Richtigkeit, sondern auch die wachsende Aktualität einer demokratischen Erneuerung unseres Landes. Genauso wie die Aktualität meiner Erklärung an die Mitbürger vom 25 . Dezember 1991 : »Es ist lebenswichtig, die demokratischen Errungenschaften der Perestrojka zu bewahren. Von diesen Errungenschaften dürfen wir uns unter keinerlei Umständen und Vorwänden abwenden. Andernfalls sind alle Hoffnungen auf eine bessere Zukunft zunichte.«
    Die demokratischen Errungenschaften der Perestrojka, die dem Augustputsch standgehalten hatten, waren danach neuen Prüfungen seitens eines Regimes persönlicher Macht ausgesetzt. Dieses Regime hatte sich unter dem Deckmantel demokratischer Losungen mit Unterstützung der Radikaldemokraten der alten und neuen russischen Nomenklatur und faktischer Duldung der liberalen »Führer« des »Demokratischen Russland« etabliert. Alle wichtigen Entscheidungen, die die vitalen Interessen des Volkes betrafen, wurden hinter seinem Rücken und auf seine Kosten getroffen. So die »Schocktherapie« und die überstürzte Privatisierung, die die absolute Mehrheit der Bevölkerung in Armut stürzte und eine enorme soziale Polarisierung zur Folge hatte; bis heute sind die tiefen Spuren dieser Maßnahmen in der russischen Gesellschaft nicht zu

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