Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
Jefremow ihn begleitet hatte. Darüber war ein Dokumentarfilm gedreht worden, in dem Jefremow ständig hinter Chruschtschow zu sehen war. Diese Aufnahmen hatten sich vielen eingeprägt …
Man erzählte sich: Sobald man mit einer Frage zu Jefremow komme, greife der zu den ordentlich auf seinem Tisch aufgebauten, mit zahlreichen Lesezeichen und allen möglichen Unterstreichungen versehenen Werken Chruschtschows und finge an, daraus zu zitieren. Das Gespräch endete meist so: »Das hat Genosse Chruschtschow zu diesem Problem gesagt. Richten Sie sich also danach.«
Als Jefremow in Moskau eintraf, schloss er sich, wie er selbst sagte, der Kritik an Chruschtschow an, sprach sich aber wie Mikojan gegen den Sturz Chruschtschows aus. Das war wohl auch der Grund, warum ihn das Präsidium des ZK nach Chruschtschows Absetzung nach Stawropol schickte, ihn aber nicht seiner Funktion als Kandidat des Präsidiums des ZK enthob. Im November 1964 beschloss das Plenum des ZK der KPDSU , die industriellen und landwirtschaftlichen lokalen Parteiorganisationen wieder zusammenzulegen. Vom 1 . Dezember an leitete Jefremow das Organisationsbüro, das diese Aufgabe im Stawropoler Land durchsetzen sollte. Es begann eine heiße Zeit. Jeder kämpfte um seine Stellung, jedem ging es nicht nur um sein persönliches Interesse, um seinen Arbeitsplatz, sondern um seinen Status, um die Macht. Worum es in der Sache ging, das war vielen völlig egal.
In meiner Eigenschaft als Leiter der Abteilung Parteiorgane des landwirtschaftlichen Partei-Regionskomitees rief mich Jefremow zu sich und erwartete personelle Vorschläge zum Büro und Apparat des wiedervereinigten Partei-Regionskomitees. Er schaute in die Liste, die ich ihm mitgebracht hatte, und als er meinen Namen nicht fand, fragte er verwundert: »Und wo willst du arbeiten?«
Ich antwortete, ich wolle zur Arbeit im Bezirk oder in der Stadt zurückkehren.
»Gut, wir werden sehen«, sagte er und schickte mich mit dem ganzen Material nach Moskau.
In Moskau angekommen, ging ich zur Abteilung Parteiorgane des ZK , wo ich zu hören bekam: »Jefremow hat um einen Anruf gebeten, bevor die Gespräche beginnen.«
Ich wählte die Nummer.
»Warst du schon irgendwo?«, fragte mich Jefremow. »Nein? Dann ist gut. Wir haben hier nämlich beschlossen, dass du Sekretär des Stawropoler Partei-Stadtkomitees wirst.«
»Das ist durchaus in meinem Sinne«, antwortete ich.
Nach diesem Anruf besprach ich die Neubesetzungen. Aber am späten Abend kam wieder ein Anruf von Jefremow: »Michail Sergejewitsch, hör mal, wir haben hier noch einmal alles besprochen. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass wir zusammenarbeiten sollten.«
»Klar, arbeiten wir zusammen«, sagte ich, ohne zu verstehen.
»Nein, nicht so, wie du denkst«, unterbrach mich Jefremow, »du wirst Leiter der Abteilung Parteiorgane des Regionskomitees.«
»Warum?«
»Hier geht es drunter und drüber, alle bedrängen mich …«
Ich konnte mir lebhaft vorstellen, was im Regionskomitee los war, wie unsere Funktionäre Jefremow zusetzten und wie unsicher er dadurch wurde.
»Leonid Nikolajewitsch«, sagte ich. »Nein, bitte bleiben Sie bei Ihrer ursprünglichen Ansicht.«
»Zu spät!«, unterbrach Jefremow. »Es ist beschlossene Sache und mit allen abgesprochen.«
Am 22 . Dezember 1964 fand die Parteidelegiertenkonferenz der Region statt. Jefremow wurde zum Ersten Sekretär des Partei-Regionskomitees Stawropol gewählt. Der ehemalige Sekretär des industriellen Regionskomitees Bosenko wurde Zweiter Sekretär. Ich wurde ins Büro gewählt und im Amt des Leiters der Abteilung Parteiorgane bestätigt.
In der Anfangszeit der gemeinsamen Arbeit lernten Jefremow und ich uns kennen, gewöhnten uns aneinander, ja kamen uns näher. Jefremow hatte einen breiten politischen Horizont, war belesen, gebildet und kultiviert. Er war zweifelsohne eine große Persönlichkeit, gleichzeitig aber auch ein raffiniertes Produkt des Systems und ein typischer Zögling der Kaderschmiede der Partei. In diesem Sinne waren die Jahre der Arbeit mit ihm lehrreich für mich. Der Leser wird fragen: in welchem Sinne?
Die Versetzung in die Provinz machte Jefremow schwer zu schaffen. Das war auch einer der Gründe, warum er solche Mühe hatte, sich in die Belange der Region einzuarbeiten. Offenbar hatte er immer noch die Illusion, Breschnew würde ihn schon bald wieder nach Moskau zurückrufen. Deshalb interessierten ihn auch zu Beginn die Ereignisse in der Hauptstadt weit mehr
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