Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
hinter den Worten »zum Wohl des Volkes« verbarg sich vor allem der Wunsch der »Generäle« und »Offiziere« der Partei, an der Macht zu bleiben. Das ZK der KPDSU , das Chruschtschow 1957 im Kampf gegen die »parteifeindliche Gruppe« unterstützt hatte, stürzte ihn im Oktober 1964 .
Die Besonderheit der Chruschtschow-Ära besteht darin, dass Chruschtschow das System zum Funktionieren bringen wollte, indem er auf dessen Methoden zurückgriff. Doch das System nahm die Neuerungen nicht an, sondern weigerte sich. Ich werde noch auf diesen Punkt zurückkommen, wenn ich auf meine Zeit als Generalsekretär eingehe. Gleichzeitig war aber mit Chruschtschow der erste Schritt zur Demontage des totalitären Regimes getan. Es war der erste Versuch, unsere Gesellschaft zur Demokratie zu führen.
Auch das neue Parteiprogramm, das Programm zum Aufbau des Kommunismus, hat Chruschtschow nicht retten können. Es stand im Zentrum des 22 . Parteitags. Natürlich entsprach dieses Programm den Nöten und Bedürfnissen der Menschen, ihrem Interesse an der Friedenssicherung. Aber schon damals spürten viele, unter ihnen auch ich, in diesem »Projekt« den Zweckoptimismus und ein leichtsinniges Herangehen an die Lösung komplizierter gesellschaftlicher Probleme.
Hier wird der Leser zu Recht fragen: »Aber Sie, Herr Gorbatschow, haben doch sicher auch für das Programm gestimmt?« Ja, das habe ich. Es gibt nur eine Antwort auf diese Frage. Wenn von diesem Programm nur ein Drittel oder gar die Hälfte verwirklicht worden wäre, wäre das ein großer Fortschritt für die Lösung brisanter Probleme gewesen.
Während des Parteitags bekam ich zwei Briefe von Raissa. Sie fragte: »Was habt Ihr da beschlossen? Die Gesellschaft tobt. Es gibt eine Neuigkeit, die Dich interessieren wird. Nach der Entscheidung des Parteitags, den Leichnam Stalins aus dem Mausoleum zu entfernen, wurde seine Büste auf dem Platz der Schewtschenko-Universität entfernt – und auf den Sockel die Büste von Taras Schewtschenko gesetzt. Und zwei Tage später hatte jemand auf den Sockel geschrieben:
Hej, Leute,
was habt ihr bloß getan!
Auf den grusinischen Arsch
habt ihr mich gesetzt!«
Nicht nur die Propagandastrukturen der KPDSU funktionierten gut. Sofort nach dem Parteitag kamen Witze zu diesem Programm des Aufbaus des Kommunismus in der UDSSR auf – ich weiß noch zwei von ihnen. Beide hängen mit den Erklärungen der Beschlüsse des Parteitags zusammen, besonders mit dem Inhalt des Parteiprogramms. Es gab viele, die die Vorlesungen dazu hören wollten.
Der erste Witz geht so: Eine Babuschka klatscht nach der Vorlesung zusammen mit allen Beifall. Und fragt dann den Referenten: »Söhnchen, habe ich richtig verstanden: Ich kann also bald aus unserer Stadt umsonst überallhin fahren und fliegen?«
»Ja.«
»O, wie toll!«
»Wieso?«
»Na, ist doch klar: Dann kann ich mich in ein Flugzeug setzen und dahin fliegen, wo ich Butter, Fleisch und andere Lebensmittel kaufen kann.«
Im zweiten Witz ist der Protagonist ein Opa.
»Danke für diese tolle Vorlesung. Vielleicht erleben wir ja wirklich den Kommunismus. Ich habe nur eine Frage: Am Ende Ihrer Vorlesung haben Sie gesagt: Die Morgenröte des Kommunismus strahlt schon am Horizont. Können Sie mir bitte sagen, was ein Horizont ist?«
Der Referent antwortet: »Das ist die Linie, wo Himmel und Erde aufeinandertreffen – wobei man hinzufügen muss, wenn du dich dieser Linie näherst, hat sie die Eigenschaft, sich zu entfernen.«
Der Opa:
»Ach so! Na, dann ist ja alles klar!!!«
Fjodor Kulakow
Kulakow arbeitete nur vier Jahre im Stawropoler Land. Als er zum Ersten Sekretär des Partei-Regionskomitees von Stawropol gewählt wurde, war er 42 Jahre alt. Ich habe gute Erinnerungen an ihn. Er stimmte einen ganz anderen Ton in der Arbeit der Partei- und Wirtschaftskader an. Er arbeitete hart und war kompetent. Gegenüber seinen Mitarbeitern trat er fordernd und zugleich wohlwollend auf. Vom Typ her war er ein Mann, der gern Gutes aufgriff und sich in die Probleme anderer einfühlen konnte. Für Versäumnisse in der Arbeit konnte er einen streng zur Verantwortung ziehen.
Ich habe das selbst erfahren müssen, als er einmal auf einer Versammlung des Regionsparteiaktivs vor achthundert Anwesenden mir und meinen Kollegen von der Leitung der territorialen Verwaltung der Kolchosen und Sowchosen, der drei Bezirke um Stawropol unterstanden, die Leviten las. Es handelte sich um ein großes, in Entwicklung
Weitere Kostenlose Bücher