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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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Situation in Usbekistan Luft: Raschidow sei ein gefährlicher Heuchler, vor dem man auf der Hut sein müsse, seine Helfershelfer und er stellten tüchtige, eigenverantwortlich handelnde Kader kurzerhand kalt …
    Tatsächlich fiel Murtasajew, in dem Raschidow einen Konkurrenten sah, ihm bald zum Opfer. Er wurde nach Taschkent versetzt, zum Vorsitzenden des Arbeitskomitees ernannt und auf diese Weise aus dem Weg geräumt. Er geriet so in die Isolation, dass es an seinen Kräften zehrte, und starb früh. Viele Jahre später lernte ich seinen Sohn Akram Murtasajew kennen, der zusammen mit Dmitrij Muratow die
Nowaja gaseta
[16] aus der Taufe hob. Wie die Söhne doch den Vätern gleichen …
    Nach Buchara und Samarkand waren wir in Sarafschan und Nawoj, neuen Städten, in denen sich Rüstungs- und andere besonders wichtige Betriebe befinden. In Nawoj, einer Wüstenstadt, wird Gold gefördert. Man führte uns herum und zeigte uns das Erz, aus dem das »gelbe Metall« gewonnen wird. Wir flogen über die Wüste und fuhren dann durch die Wüste Kysylkum (roter Sand). Hin und wieder tauchten kleine grüne Oasen auf, eine Schafherde an einem Brunnen, primitive Unterkünfte.
    Auf dieser Reise kam ich auch in usbekische Häuser. Die Usbeken lebten ärmlich, in Großfamilien. In der Regel bauten sie zwei Häuser nebeneinander mit einem Dach aus Schiefer, Dachpappe oder Lehm. Durch eine Art Veranda waren diese beiden Häuser miteinander verbunden; im einen lebten die Alten, im anderen die Jungen. Viele Häuser waren erhöht, standen gleichsam auf Pfählen, damit die Luft bei der Hitze zirkulieren konnte. In Erinnerung geblieben sind mir von dieser Reise Gespräche mit einfachen Leuten, die partout nicht verstanden, warum sie die ganze Sowjetunion mit Baumwolle versorgen sollten, selbst aber nur unzureichend Lebensmittel bekamen. »Wenn wir den ganzen Boden für die Baumwolle opfern, müssen die anderen aber auch an uns denken.«
    Noch im Stadtkomitee von Stawropol führte mich das Schicksal mit Degtarjow zusammen, dem Sekretär des Gebietskomitees von Donezk. Er war eine bedeutende Persönlichkeit auf der politischen Bühne der damaligen Zeit, stand von der Kompetenz und vom Horizont in nichts Schtscherbizkij nach und war lange Mitglied des Politbüros des ZK der Kommunistischen Partei der Ukraine. Aber er war ein Vertrauter von Schelest, und mit dem Sturz dieses Mannes war auch seine Karriere vorbei. Zuerst wurde er versetzt, dann in Pension geschickt.
    Jedes Treffen wurde zu einem langen offenen Gespräch zwischen uns, wir kannten keine verbotenen Themen. Ihn bewegten dieselben Probleme wie mich. Wir spürten fast körperlich, wie die Gesellschaft an Energie verlor. Man musste handeln, aber die Hände waren einem durch veraltete Dogmen und Instruktionen gebunden.
    »Weißt du«, sagte Degtjarjow, »ich verstoße bewusst gegen manche idiotische Bestimmungen, sonst geht alles den Bach runter.«
    Das konnte man ihm nicht verdenken. Donezk hat die Größe eines Staates: 5  Millionen Einwohner, 23  Millionen Tonnen Stahl, über Hundert Millionen Tonnen Kohle, bedeutender Maschinenbau, entwickelte Landwirtschaft und Schifffahrt. Probleme bis zum Hals: Wohnraum, Lebensmittel, Ökologie, das Schicksal der alten, schlecht eingerichteten Bergbausiedlungen. Und dann die Unmöglichkeit, auch nur einen Teil der Produktion dieses gewaltigen Gebiets für die eigenen Bedürfnisse nutzen zu können.
    Beim Plenum des ZK lud mich Degtarjow einmal in einer Pause ein, durch den Kreml zu spazieren. Wir kamen vom Hölzchen aufs Stöckchen, doch auf einmal fragte er: »Hör mal, Michail, was soll das eigentlich alles, diese Sowjets, Exekutivkomitees, die zahllosen Unions- und Republikbehörden? Das ZK und die Republik- und Gebietskomitees der Partei entscheiden doch eh alles. Man sollte ihnen die Macht vollständig übertragen und die anderen Institutionen abschaffen.«
    Ich teilte seine Empörung über das ausufernde Verwaltungssystem: neue Institutionen sprossen wie Pilze aus dem Boden; um die einfachsten Dinge zu entscheiden, musste man sich die Hacken ablaufen. Aber Degtarjows Vorstellungen waren mir doch zu radikal.
    »Und wie soll man rechtfertigen«, wandte ich ein, »dass dem ZK und den Gebietskomitees diese Macht nicht vom ganzen Volk übertragen worden ist? Das wäre Usurpation der Macht, Diktatur der Partei. Wenn man die Sowjets abschafft, müssten die Parteiorgane durch das Volk gewählt werden. Wie soll das gehen?«
    Andropow, Kosygin,

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