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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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Vorsicht und Zurückhaltung ist verständlich. Zu lange war er an der Spitze gewesen und hatte seinerzeit mit Wosnesenskij und Kusnezow gearbeitet, die später hingerichtet worden waren. Kosygin war wohl der Einzige aus dieser Gruppe, der überlebt hat.
    Auf die Stalinzeit kam er nicht gern zu sprechen. Einmal hatten wir jedoch ein Gespräch: »Das Leben war wirklich hart. Vor allem moralisch, oder besser: psychologisch. Im Grunde genommen standen wir ständig unter Aufsicht, egal, wo ich war«, sagte er bitter, »nirgends war ich allein.« Das sagte ein Mann, der immerhin zur höchsten politischen Leitung des Landes unter Stalin gehört hatte.
    Beim ersten Treffen entspann sich zwischen uns eine Diskussion, die wir mit Unterbrechungen die ganzen nächsten Jahre fortführten. Es ging um das von mir schon oft erwähnte Thema, das Funktionieren der Wirtschaft durch Anreize für die Menschen zu verbessern.
    »Ich bin ZK -Mitglied, Deputierter des Obersten Sowjets und trage eine große Verantwortung. Aber ich habe weder das Recht noch die finanziellen Mittel, um die einfachsten Entscheidungen zu treffen. Den Hauptteil der Steuern der Betriebe und der Bevölkerung bekommt das Zentrum. Ich kann im Rahmen meines Budgets für Gehälter noch nicht einmal das Personal wechseln, um ein paar tüchtige Mitarbeiter zu einem guten Gehalt einzustellen. Stattdessen habe ich fünfzehn schlecht bezahlte, aus denen man unmöglich ein gutes Team zusammenstellen kann. So gibt Moskau überall einen engen Rahmen vor. Das führt im Endeffekt dazu, dass der Verwaltungsapparat immer inkompetenter wird.« Das sagte ich ihm ziemlich geladen.
    Kosygin hörte sich das schweigend an, lächelte manchmal über meine Aufregung, zeigte aber kein besonderes Interesse an diesem Thema. Er hatte eine ganz besondere Art zu schweigen. Ich sah, dass er meine Ansicht teilte, und obwohl er mich nicht bestätigte, war ich ihm dankbar für sein Verständnis.
    Als wir die bewässerten Böden einzuführen begannen, kamen Koreaner angereist und schlugen vor, dort Zwiebeln anzubauen. Vertraglich galt: 45  Tonnen Zwiebeln pro Hektar bekommt die Kolchose oder Sowchose, die restliche Ernte geht an die Brigade. Die Koreaner stellten diese Brigaden selbst zusammen, und zwar aus Zugereisten. Sie lebten die ganze Saison über in Zelten auf dem Feld und arbeiteten Tag und Nacht, bei jedem Wetter. Ihr Verdienst war sehr hoch. Davon verführt, versuchten einige unserer Stawropoler in diesen Brigaden mitzuarbeiten, aber sie hielten es nicht länger als eine Woche aus, dann flohen sie. Doch bald schaltete sich die Staatsanwaltschaft der UDSSR und die Kommission der Parteikontrolle des ZK ein: Das sei Raffgier, ein Verstoß gegen die Prinzipien des Sozialismus. Einige unserer Wirtschaftsfunktionäre wurden in die Mangel genommen und bestraft. Die Koreaner wurden verjagt, alle Verbindungen gekappt, die Zwiebeln ohne fremde Hilfe angebaut.
    Ausgerechnet nach diesem Vorfall machte Kosygin bei uns Urlaub. Er landete morgens, um 12  Uhr kamen wir in Kislowodsk an. Ich schlug vor zu frühstücken. Wir setzten uns an den Tisch, es gab Gemüse, darunter auch frisch geschnittenen Lauch.
    Der Vorsitzende des Ministerrats der UDSSR Alexej Kosygin im Stawropoler Land, siebziger Jahre
    Quelle: I. Adonew
    »Wie ist eigentlich die ›Zwiebelgeschichte‹ bei euch ausgegangen?«, fragte Kosygin plötzlich.
    »Gut«, sagte ich betont gutgelaunt »jetzt herrscht bei uns Ordnung.«
    »Was heißt Ordnung?«
    »Als die Koreaner da waren, deckte Stawropol nicht nur seinen eigenen Bedarf an Zwiebeln, sondern schickte noch 15 bis 20  Tonnen woandershin. Jetzt haben wir uns von den Koreanern befreit und Ordnung geschaffen. Allerdings müssen wir nun Zwiebeln aus Usbekistan einführen, unsere eigenen reichen nicht.«
    Kosygin kaute genüsslich seinen Schnittlauch und stellte keine Fragen mehr. Sie waren überflüssig. Er wusste, dass man wirtschaftliche Probleme mit Verboten nicht lösen kann. Er verstand, dass ich mich nicht nach der wilden »koreanischen Produktionsweise« zurücksehnte, sondern darüber nachdachte, wie ich genauso wirksame, aber zivilisiertere Anreize für die Arbeit finden konnte.
    Manchmal hatten unsere Gespräche sogar praktische Auswirkungen. So wollte er zum Beispiel das Chemiekombinat Newinnomysk kennenlernen; wir fuhren hin, besichtigten es und setzten uns dann mit ein paar Spezialisten zusammen. Die Newinnomysker setzten dem Vorsitzenden der Unionsregierung ordentlich zu,

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