Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
Straßen, Kurorte und so weiter. Die endlosen Pläne, Ausarbeitungen, Plenen und Berichte für das ZK , das Hofieren der Führung und die Zusammenstöße mit den Ewiggestrigen … Schon damals kam mir immer öfter der Gedanke: Warum stößt jedes Vorhaben, das im Interesse der Gesellschaft ist, auf Misstrauen oder wird sofort abgeschmettert? Woran liegt es, dass das System so wenig empfänglich für Neuerungen ist und alles Neue abstößt?
Auch andere »ketzerische Gedanken« gingen mir durch den Kopf, aber zum ernsthaften Nachdenken kam ich nicht. Tag und Nacht arbeitete ich mit den Stawropolern daran, meine Absichten zu verwirklichen und die Entwicklung der Region voranzutreiben. Die Hauptsache war, den Weg für die Zukunft zu ebnen. Es hing viel von meinen Handlungen ab, aber alle meine Absichten mussten utopisch bleiben, wenn ich keine Gleichgesinnten fand.
Mein Führungsstil bestand darin, jedem Kader die Chance zu geben, sich zu entfalten. Die einen brachten tatsächlich ihr Potenzial ein, die anderen baten um Versetzung oder Pensionierung, weil ihnen die neuen Aufgaben über den Kopf wuchsen. Ich lege meine Hand nicht für jeden Fall ins Feuer, aber die Erneuerung der Kader erfasste alle Bereiche der Region, und, mir scheint, sie verlief dynamisch und ohne große Härte.
Es zeigte sich schnell, dass um einen grundlegenden personellen Wechsel auf der Ebene der Ersten Sekretäre der Stadt- und Kreiskomitees der Partei nicht herumzukommen war. Ich wartete nicht bis zu den nächsten Wahlen. Ich kann wahrlich nicht behaupten, dass dieser Prozess einfach war: Anfangs hatte er negative Folgen, aber später zahlte er sich hundertfach aus. Die Sekretäre der Parteikomitees begaben sich zusammen mit mir auf die schwierige Suche, etliche waren mir nicht nur eine Stütze in der Arbeit, sondern wurden Vertraute.
Unter allen Parteiämtern war das Amt des Ersten Sekretärs des Stadt- beziehungsweise Bezirkskomitees das schwerste und verantwortungsvollste. Man musste Politiker und Praktiker, Lehrmeister und Organisator, kompetenter Wirtschaftler, Taktiker, ja zumindest im Bezirksmaßstab auch Stratege sein. Erschwerend kam hinzu, dass die Amtsinhaber die Hauptsache, nämlich die Psychologie der Kommunikation und die Kunst, mit Menschen zu arbeiten, nie gelernt hatten. Alles hing nur von den natürlichen menschlichen Qualitäten der entsprechenden Führungspersönlichkeit ab, von ihrem Verständnis, dass Menschen sehr viel mehr und besser arbeiten, wenn es nicht auf Befehl und mit Zwang geschieht, sondern aus Interesse und weil man mit ihnen ordentlich umgeht. Der Sekretär eines Bezirkskomitees musste ein ganzes Spektrum von Vorzügen haben. Solche Leute zu finden, war wirklich schwierig.
Die »schnelle Einsatztruppe«
In der KPDSU gab es »besondere« Informationskanäle, und alle wussten sehr wohl, dass es bestimmte Gruppen gab, die maßgeblichen Einfluss hatten. Es gab auch eine Art »schnelle Einsatztruppe«, die das besondere Vertrauen des Generalsekretärs genoss. Zu dieser Truppe gehörten die Sekretäre Kulitschenko von Wolgograd, Schibajew vom Altai, Kowalenko aus Oranienburg und Leonow aus Sachalin. Die meisten waren enge Verbündete Kulakows. Jedes Mal, wenn Breschnew Unterstützung brauchte oder eine Intrige gesponnen wurde, schaltete sich die »schnelle Einsatztruppe« ein. Sie gab bei den Diskussionen im Plenum und bei den Parteitagen den Ton an, und wenn aus ihrem Mund irgendeine Kritik an der Regierung verlautete oder ein Vorschlag vorgebracht wurde, wussten alle, woher das kam und wessen Interesse sie zum Ausdruck brachte.
Mit diesen Leuten wollte mich mein Nachbar Solotuchin, Sekretär des Regionskomitees von Krasnodar und Vorgänger Sergej Medunows, bekannt machen. Das geschah im Hotel Moskwa. Sobald Solotuchin und ich das Luxusappartement betraten, verstand ich, an wen und wohin ich geraten war. Die Bekanntschaft begann wie zu Zeiten Peters des Großen damit, dass man mir ein großes, bis zum Rand mit Wodka gefülltes Glas reichte und mich einlud, mich dem fröhlichen Gelage anzuschließen. Ich nippte ein wenig an dem Glas und stellte es wieder auf den Tisch, womit ich allgemeines Misstrauen erregte.
»Was ist denn das?«, fragte Kowalenko mit offener Unzufriedenheit.
»Ich habe mein eigenes System«, antwortete ich. »Langsam, aber sicher.«
Alle lachten über den Witz und beruhigten sich sofort. Aber mein »System« war eigentlich ganz einfach: Ich war kein Freund des Alkohols, obwohl ich,
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