Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
Kulakow
Andropow lernte ich kennen, als ich Zweiter Sekretär des Regionskomitees war. Die Ereignisse des August 1968 hatten ihm nicht erlaubt, zur üblichen Zeit Urlaub zu machen, und so kam er im April 1969 nach Schelesnowodsk. Da Andropow den Höflichkeitsbesuch des Ersten Sekretärs vorsichtig abgelehnt hatte, schickte Jefremow mich vor.
Der KGB -Chef hatte sich im Sanatorium Eichenhain einquartiert, in einer Drei-Zimmer-Luxussuite. Ich erschien zur vereinbarten Zeit, wurde jedoch gebeten zu warten. Es vergingen vierzig Minuten. Endlich kam er heraus, begrüßte mich herzlich und entschuldigte sich, er habe ein »wichtiges Gespräch mit Moskau« geführt. »Ich kann Ihnen eine wichtige Neuigkeit mitteilen. Das Plenum des ZK der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei hat Gustáv Husák als Ersten Sekretär gewählt.« Das war nach Andropows Meinung ein Hinweis darauf, dass sich die Lage in der Tschechoslowakei stabilisiere.
Später trafen wir uns noch öfter. Zweimal machten wir zur selben Zeit Urlaub: er in der Villa des Sanatoriums Rote Steine, ich direkt im Sanatorium. Zusammen mit unseren Familien unternahmen wir Wanderungen in der Umgebung von Kislowodsk und fuhren in die Berge. Manchmal blieben wir bis spätabends, saßen am Lagerfeuer und machten Schaschlik. Andropow war wie ich kein Freund lauter Gelage. Er brauchte nur die wunderschöne südliche Nacht, Stille, das Lagerfeuer und ein gutes Gespräch.
Während des Urlaubs mit Jurij Andropow, 1976
Der fotografiebegeisterte Andropow – Mitglied des Politbüros, Vorsitzender des KGB , General der Armee – macht eine Aufnahme von Raissa und Michail Gorbatschow im Stawropoler Land, 1976 .
Die Offiziere der Leibwache brachten ein Tonband. Erst später erfuhr ich, dass Andropow die Musik außerordentlich liebte. Er hörte sich im Urlaub gern die Barden der sechziger Jahre an, besonders Wysozkij und Wisbor. Er mochte ihre Lieder und sang auch selbst nicht übel, ähnlich wie seine Frau Tatjana Filippowna. Einmal schlug er mir vor zu wetten, wer von uns beiden mehr Kosakenlieder kennt. Ich war so leichtsinnig einzuwilligen und musste eine totale Niederlage einstecken. Andropow war nämlich unter den Terek-Kosaken aufgewachsen.
Standen wir uns nah? Ich glaube, ja. Ich sage das mit einem gewissen Zweifel, denn später musste ich feststellen, dass einfache menschliche Gefühle an der Spitze fast ein Ding der Unmöglichkeit sind. Doch trotz Andropows Zurückhaltung spürte ich sein Wohlwollen, selbst dann, wenn er mir zürnte und mich kritisierte. Die Situation im Land und die Gefahr, die der Gesellschaft drohte, konnte er besser einschätzen als viele führende Funktionäre. Aber wie die meisten meinte er wohl, man müsse nur die Kader auf Trab bringen und mehr auf Disziplin achten, dann wäre alles in Ordnung. Bei ideologischen Konflikten reagierte Andropow heftig. Die wirtschaftlichen Probleme dagegen nahm er auf die leichte Schulter. Die Tatsache, dass eine Reform nach der anderen im Sande verlief, rührte ihn nicht.
Mit Andropow im Stawropoler Land, siebziger Jahre
Mein Verhältnis zu Kosygin war anders. Sicher, er war ein großer Politiker und interessanter Mann, und ich bewunderte sein Gedächtnis. Er hatte jede Menge Zahlen und Fakten im Kopf, die für die reale Situation in unserem Land und der Welt von Bedeutung waren. Als er uns in Stawropol besuchte, traf er sich mit den Leitern der Kolchosen und Sowchosen und zeigte reges Interesse am Landleben. Ich hatte das Gefühl, er wollte verstehen, warum der Agrarsektor ständig Probleme machte. Er konnte es nicht ausstehen, wenn ihm die lokale Führung der Region bei Reisen den Hof machte, er mochte kein offizielles Getue, hatte kein Faible für Gelage und inhaltslose Tischreden. Ihm gefielen Treffen mit Menschen, Arbeit an Dokumenten, Lektüre, Spaziergänge …
Kosygin trat immer sehr bescheiden, ja anspruchslos auf, seine Askese erinnerte an Suslow. Im Urlaub quartierte er sich nie in der Villa ein, sondern im öffentlich zugänglichen Gebäudeteil des Sanatoriums Rote Steine. Das sprach zwar scheinbar ebenfalls für seine Bescheidenheit, aber nur bedingt. Seine Dienste und er belegten in solchen Fällen nämlich eine ganze Etage. Kontakten und Gesprächen mit anderen Kurgästen ging Kosygin nicht aus dem Weg, sondern tat sich keinen Zwang an.
Doch selbst wenn ich mit Kosygin allein war, schottete er sich mehr ab als Andropow; selbst bei dem offensten Gespräch wahrte er Distanz. Diese
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