Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
Menschen, um mich und bat sie, sich der Sache anzunehmen. Ihre Arbeit brachte schnell Ergebnisse: Es wurden äußerst grobe Gesetzesverstöße bei den Regionsorganen für innere Angelegenheiten aufgedeckt. Alles kam ans Licht: Schwindel, Vertuschung von Straftaten und Amtsmissbrauch. Die Prüfer deckten mehr als 2500 nicht registrierte Verbrechen auf. Die gefälschte Kriminalitätsstatistik hatte die Chefs des Innenministeriums in Ruhe gewiegt – bis die Straffreiheit zu einem rasanten Anstieg der Kriminalität führte.
Dazu muss man Folgendes wissen. Schtscholokow hatte mit direkter Unterstützung Breschnews das System der inneren Sicherheit umstrukturiert. Er hatte die Dienste mit Personal aufgestockt und dessen Bezahlung angehoben. Das wirkte sich auf die Situation aus. Aber der ehrgeizige Minister wollte schnellstens Erfolge im Kampf gegen die Kriminalität vorweisen. Und da ihm das in der Praxis nicht gelang, »korrigierte« Schtscholokow die Kriminalstatistik, griff unter dem Vorwand der Geringfügigkeit der Verbrechen zu Betrug und Vertuschung.
Aufgrund der Ergebnisse unserer Kommission wurde hart durchgegriffen: Die drei Generäle in der Leitung des Innenministeriums wurden ihrer Posten enthoben; im Kriminalamt, der Abteilung zur Bekämpfung von Eigentumsdelikten, der Ermittlungsabteilung und anderen Ressorts wurde gründlich aufgeräumt. Alles kam ans Licht. Der Chef der Ermittlungsabteilung, der sich schwere Amtsvergehen hatte zuschulden kommen lassen, versuchte sich zu erschießen. In einem Drittel der Städte und Regionen wurden die Chefs der Miliz ausgewechselt. Das war eine harte Operation zur Durchsetzung der Rechtsordnung, vor allem in den Rechtschutzorganen selbst. Zur Sicherung der öffentlichen Ordnung wurden Arbeitskollektive und der Komsomol hinzugezogen, und siehe da, es wurde ruhiger. Was die Zahl der registrierten Delikte betrifft, rutschte die Region nun allerdings von Platz 11 auf den Platz 67 .
Die Stawropoler übten Druck auf Schtscholokow aus. Im ZK -Apparat war er unbeliebt, er ließ sich von niemand etwas sagen. Die Staatsanwaltschaft der UDSSR und das Oberste Gericht bedeuteten ihm wenig. Der Minister wurde nervös und hektisch. Zuerst rief er an, dann sandte er eine Brigade des Innenministeriums mit seinem Stellvertreter Schumilin an der Spitze zu uns. Ich kannte Schumilin von seiner besten Seite. Umso unerwarteter war, dass seine Worte auf eine Erpressung hinausliefen: »Das kann doch wohl nicht wahr sein! Überall herrscht Ordnung, und bei euch gibt es so ein Durcheinander. Da fragt man sich doch: ›Ja, wo war denn das Regionskomitee?‹«
Meine Antwort war unmissverständlich: »Ich denke nicht daran, von meiner Position abzurücken. Das kannst du Schtscholokow bestellen.«
Schumilin war es unangenehm, aber er hörte nicht auf, mich umstimmen zu wollen. Bei diesem Treffen war auch der Vizestaatsanwalt Russlands, Viktor Najdjonow dabei und unterstützte mich. Als der Kampf gegen die Kriminalität im Kubangebiet begann, den Najdjonow leitete, wurde er unter dem Druck der Gönner Medunows aus der Staatsanwaltschaft entlassen. Als ich dann Generalsekretär geworden war, bat ich ihn, das Schiedsgericht der UDSSR zu übernehmen. Er willigte ein, starb aber plötzlich, bevor er die Arbeit antreten konnte.
Von Interesse mag auch sein: Als die Staatsanwaltschaft Russlands (nicht die der Sowjetunion) in anderen Gebieten eine ähnliche Überprüfung anordnete, gelangten noch schwerere Verbrechen an den Tag, darunter auch Morde. Ein Stein kam ins Rollen … Die Zeit der geschönten Zahlen war vorbei, das »Schtscholokow-System« brach zusammen.
6 . Kapitel
Wie man in anderen Ländern lebt
Meine ersten Auslandsreisen unternahm ich noch, bevor ich Erster Sekretär des Regionskomitees der Partei wurde: 1966 in die DDR , 1969 im September nach Bulgarien und im November in die Tschechoslowakei.
In Ostdeutschland erprobte man damals neue Methoden wirtschaftlicher Planung und Lenkung, führte ein System von Anreizen ein und gewährte den Betrieben größere wirtschaftliche Unabhängigkeit. Wir hörten uns zwei Tage lang Referate zu diesem Thema an, in der Freizeit besichtigten wir Berlin.
Selbst zwanzig Jahre nach dem Krieg spürte ich eine innere Erregung, als ich in diese Stadt kam. Die Bekanntschaft mit Berlin wühlte mich auf und weckte Erinnerungen. Zerstörte Häuser und Denkmäler, Trümmerberge auf dem freien Platz, wo früher einmal die Reichskanzlei gestanden hatte; das
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