Allie kommt gross raus Band 4
er würde nichts verraten. Das war nett von ihm, ich wusste, warum er das tat. Er sagte es nur, damit ich ihn weiterhin zur Schule brachte. Wenn ich mich weigerte, müssten Mom, Dad oder Mark ihn bringen. Und dann hätte er nicht halb so viel Spaß wie mit mir. Nicht zu vergessen, dass meine Freundinnen sich immer darum stritten, wer seine verschwitzte Hand halten durfte (aus einem mir unerklärlichen Grund finden sie ihn niedlich).
Doch heute waren Caroline, Sophie und Erica wegen des Vorsprechens viel zu aufgeregt, als dass sie sich darüber hätten streiten wollen, wer den Vorzug erhielt, Kevins Schweißflossen zu halten. Erica las sogar noch im Textbuch, als sie bei uns klingelte.
»Oh, Allie«, sagte sie, als ich die Tür öffnete. »Das wird schlimmer als ich dachte! Die gute Fee hat schrecklich viel Text! Wie soll ich mir bloß merken, dass Plastiktüten aus Polyethylen bestehen, dass es 500 Jahre braucht, bis es zerfällt, und dass nur eine von zehn Plastiktüten richtig recycelt wird?«
»Das musst du dir doch heute noch gar nicht merken«, erinnerte ich sie. »Du kannst beim Vorsprechen einfach aus dem Textbuch vorlesen. Mrs Hunter hat nichts davon gesagt, dass man seine Rolle bis heute auswendig können soll.«
»Ja, ich weiß«, sagte Erica. »Aber wenn ich die Rolle bekomme, muss ich den Text irgendwann können. Und wie soll ich das machen?«
»Ich kann alle Songs von ›Annie‹ auswendig«, mischte Kevin sich ein, während wir uns dem Stoppschild näherten, wo Sophie und Caroline schon auf uns warteten. »Einfach, weil ich sie so oft gesungen habe.«
»Da hat er recht«, sagte ich. »Übung macht den Meister.« Das ist eine Regel.
»Seid ihr bereit fürs Vorsprechen?«, fragte Erica Sophie und Caroline, sobald wir nah genug waren, dass sie uns verstehen konnten.
»Nein, ich bin total nervös«, sagte Sophie. Sie streckte die Hand aus. »Seht mal, meine Finger. Sie zittern so sehr, dass meine Mutter mich am liebsten zum Arzt geschleppt hätte, statt mich zur Schule zu schicken.«
Das stimmte, Sophies Hände zitterten voll. Ich kam mir
noch schlechter vor, weil ich auch für die Rolle der Prinzessin vorsprechen wollte. Dann fiel mir wieder ein, was Onkel Jay gesagt hatte - dass Mrs Hunter vielleicht beim Schreiben mich im Kopf gehabt hatte, oder Cheyenne und gar nicht Sophie, und dass es keine Garantie gab, dass sie die Rolle bekam - und beruhigte mich wieder.
»Hauptsache, Cheyenne wird nicht Prinzessin«, sagte ich. »Stimmt’s?«
Das fanden die anderen auch.
»Jetzt echt«, sagte Caroline, »ich kann sie ja unter normalen Umständen schon kaum ertragen. Aber mit einer Hauptrolle in unserem Klassenstück? Und dann noch als Prinzessin? Nur über meine Leiche. Rosemarie hatte recht. Wir müssen dafür sorgen, dass Ihre Königliche Blödheit die Rolle auf keinen Fall bekommt!«
»Dafür müssen wir alle unser Möglichstes tun«, sagte ich, ohne zu erwähnen, dass mein Möglichstes darin bestand, mich selbst für diese Rolle zu bewerben.
»Unbedingt«, sagte Sophie.
»Absolut«, sagte Erica.
»Gute Idee«, sagte Kevin, obwohl er gar nicht angesprochen war.
Mrs Hunter ließ in der Aula vorsprechen, in der Stunde, in der wir eigentlich Kunst gehabt hätten. Das bedeutete, dass wir bis nach der großen Pause warten und die ganze Zeit Cheyennes Gerede über uns ergehen lassen mussten, wie
sicher sie war, dass sie die Rolle bekommen würde, weil sie so viel Erfahrung und lange Haare hatte und die reinste Prinzessin war - es war die Hölle.
»Wisst ihr was?«, erklärte Cheyenne in der Pause allen, ob sie es hören wollten oder nicht. »In Kanada habe ich bei allen unseren Schulaufführungen die Hauptrolle gespielt. Ich habe die Anne in dem Schulstück ›Anne auf Green Gables‹ gespielt und Helen Keller in dem Stück ›Licht im Dunkel‹. Deshalb muss ich ja die Rolle von Prinzessin Penelope spielen. Ich habe Mrs Hunter mein Porträtfoto und meinen Lebenslauf mitgebracht. Wetten, dass keiner von euch Fotos oder Lebensläufe dabei hat?«
»Das kann schon sein«, sagte Caroline. »Aber es weiß sowieso jeder, dass Sophie von allen Mädchen der Schule am meisten wie eine Prinzessin aussieht.«
Cheyenne warf D und M nur einen kurzen Blick zu und fing an zu lachen.
»Klar tut sie das«, sagte Cheyenne. »Wenn du das sagst, Caroline.«
Also, ich weiß eigentlich, dass man niemanden hassen darf, wie Mark schon sagte. Aber es ist richtig schwer, Cheyenne nicht zu hassen.
Als es endlich
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