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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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auf ihrem Kegelberg wie eine Fregatte unter Segeln, die alte Fassade von Bizerba leuchtete an der Stadtautobahn.
    Ich rollte nach Frommern hinein, stellte meine weiße Porschedame hinter Richards diplomatendunklem Herrenwagen ab und klingelte.
    Er steckte bereits beerdigungsfein in einem schwarzen Dreiteiler. Wortlos begrüßte er Cipión, der seine Krallen vertrauensselig über die edlen Hosen harkte.
    »Ich bin gekommen«, erklärte ich unterm Jugendstiltürsturz, »um dich um deiner Mutter willen zu warnen.«
    Er sagte nichts.
    »Hast du die Grabrede deines Vaters gelesen?«
    Schweigen.
    »Dann lies sie bitte.«
    »Darf ich dich daran erinnern, was auf dem Umschlag stand? ›An Pfarrer Frischlin. An meinem Grabe zu öffnen und vorzutragen^«
    »Wo hast du sie?«
    »Pfarrer Frischlin hat sie.«
    »Oh, du heilige Einfalt!«
    »Ist gut, Lisa. Ich weiß, dass du mich für einfältig und feige hältst. Ich war vorgestern in Stuttgart. Du hast mir deinen Schlüssel auf den Flügel gelegt.«
    »Vergiss das jetzt mal, Richard. Du musst die Grabrede deines Vaters von Frischlin zurückfordern.«
    Er bohrte seinen Blick in meinen und schwieg.
    Ich bohrte zurück. »Weißt du, Richard, ich kann mich auch nachher neben den Generalstaatsanwalt oder zwischen den Bürgermeister und Dr. Zittel stellen und die Show gemütlich anschauen. Oder ich fahre wieder heim und lasse mir das Ganze morgen zum Frühstück von der Zeitung erzählen.«
    Seine Lider flatterten.
    »Komm«, sagte ich leise. »Ich fahre deine Mutter dann zur Trauerfeier, falls es dir nicht mehr reicht, sie zu holen.«
    Er senkte den Blick.
    »Sie muss es nicht am offenen Grab erfahren. Ich kann mich irren, aber willst du das Risiko eingehen, dass ich mich nicht irre?«
    Schweigen.
    »Also gut. Ich hab’s versucht!«
    »Wir stören ihn wahrscheinlich beim Frühstück«, knurrte Richard, aber er nahm seinen Autoschlüssel von der Kommode. Cipión umwedelte uns gassifröhlich. Weil meine Brontë seinem Hugo die Ausfahrt versperrte, fuhren wir mit ihr. Ich fuhr.
    Pfarrer Frischlin öffnete sein Pfarrhäuschen zwischen Galluskirche und Metzgereibetrieb mit verstrubbeltem Haar und in Boxershorts unter einem weißen Frotteemantel und schaute auf die Uhr.
    »Entschuldigen Sie«, sagte Richard. »Aber es hat sich etwas ergeben, was es unumgänglich macht, dass ich Sie bitten muss, mir den Umschlag mit der mutmaßlichen Grabrede meines Vaters wiederzugeben.«
    Irgendwo im Haus schlug eine Tür. Ein feiner Geruch nach Steinwachs, feuchten Regenschirmen und Roibuschtee hing in der Luft. Der Flur war vom Wohnbereich durch eine Holzwand mit Oberlichtern getrennt. Links und rechts geschlossene Türen. Frischlin strich sich über den Bart und öffnete die Tür gleich links. Wir betraten ein Sprechzimmer mit hellem Tisch und etlichen Stühlen.
    »Habe ich Sie richtig verstanden?«, fragte Frischlin, nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte. »Sie wollen den Brief Ihres Vaters haben, der an mich adressiert ist?«
    »Haben Sie ihn gelesen?«, fragte ich.
    Er würdigte mich kaum eines Blickes.
    »Vermutlich«, sagte Richard, »war sich mein Vater nicht sicher, ob ich bei seiner Beerdigung zugegen sein würde. Deshalb hat er den Umschlag, der vermutlich seine Grabrede enthält, an Sie adressiert. Sie wissen doch, mein Verhältnis zu meinem Vater war bis zum Schluss nicht von jenem Vertrauen geprägt, das zwischen Vater und Sohn herrschen sollte.«
    Frischlin nicke dem Sünder aufmunternd zu.
    Auch wenn Richard noch immer nicht einsehen mochte, warum er den Vertrauensbruch an einem Toten verlangen sollte, so beflügelte ihn doch das Bedürfnis, dem jungen Pfarrer die seelsorgerischen Indiskretionen endlich heimzuzahlen.
    »Ich habe mir noch einmal«, sagte er, »Ihre Predigt vom vergangenen Sonntag durch den Kopf gehen lassen. Es hat mir imponiert, mit welcher Chuzpe Sie die biblischen Geschichten für Antworten auf moderne Fragen nutzbar machen. Da spricht der Geist des großen Nikodemus Frischlin.«
    Er deutete auf die Wand neben der Tür, wo nicht nur ein Bildnis des Reformators Luther hing, sondern auch die Kopie eines Holzschnitts mit einem rauschebärtigen Renaissancepoeten.
    »Frischlin war ein hitziger Querdenker«, schüttelte Richard locker aus dem Ärmel. »Leider hat er sich durch sein satirisches Temperament viele Feinde gemacht. Und so wurde er schließlich auf der Festung Hohenurach eingekerkert, wo er sich bei einem Fluchtversuch das Genick brach. Es sind doch

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